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Trotz der Manipulation von Diesel-Abgaswerten halten Kunden dem VW-Konzern die Treue. Bei Autokäufen stünden Preis, Sicherheit und Qualität im Vordergrund, erklären Experten das Rätsel.

Foto: dpa/Stratenschulte

Wien – Erst die Dieselschummeleien, dann die mutmaßliche Teilnahme an einem Autokartell, dazwischen immer wieder Negativberichte über den Umgang mit der Affäre um die Abschalteinrichtungen: Volkswagen hat zwei schwierige Jahre hinter sich, in denen neben den finanziellen Einbußen aus Umrüstung von Autos, Entschädigungs- und Strafzahlungen auch ein Abwenden der Käufer vom Wolfsburger Konzern drohte. Doch der Kundenstreik blieb bisher aus.

Im ersten Halbjahr stieg der VW-Absatz in Europa um 3,5 Prozent, auch weltweit liegen die Deutschen bei den Stückzahlen im Plus. Offenbar legen die Konsumenten keinen allzu großen Wert darauf, ob Emissionsangaben stimmen, Skandale schonungslos aufgearbeitet und Kunden akkurat entschädigt werden. Für Konsumforscher ist das auch nicht überraschend: Bei Autokäufen stehen Preis, Sicherheit und Qualität im Vordergrund. Dazu kommt die Macht der Gewohnheit. Wer seit Jahren oder sogar Jahrzehnten mit seinem VW Golf zufrieden ist, tendiert dazu, der Marke treu zu bleiben. Schummelsoftware hin oder her.

Ähnliches kennt man von anderen Produkten. Apple kann gar nicht so viele Steuerschlupflöcher ausnutzen, dass weniger iPhones gekauft würden. Für Konsumenten steht neben den technischen Vorzügen der mit den Handys verbundene Status weit oben auf der Liste der Kaufentscheidungen. Facebook wiederum wird regelmäßig wegen laxen Umgangs mit persönlichen Daten angeprangert, dennoch tummeln sich zwei Milliarden Euro in dem sozialen Netzwerk. Über Google ließe sich Ähnliches sagen.

Nachhaltigkeit nicht relevant

Und ebenso über andere Konzerne. Kinderarbeit bei Textilkonzernen, Ausbeutung bei Amazon, Sexismusvorwürfe bei Uber, Umweltsünden von Ölkonzernen: Verfehlungen von Unternehmen bleiben von den Konsumenten meist ungeahndet. Woran liegt das? Forschungen zu Corporate Social Responsibility (CSR) haben ergeben, dass die unter dem Begriff zusammengefassten ethischen Anforderungen der Verbraucher und deren tatsächliche Kaufentscheidungen weit auseinanderklaffen. CSR spielt im Konsum eine untergeordnete Rolle, heißt es in einer Untersuchung der Universität Wien, in der von einem Paradoxon gesprochen wird. Denn während beispielsweise Nachhaltigkeit in Umfragen ein großes und wachsendes Anliegen ist, ist sie beim Kauf "keine relevante Frage", sagt der Konsumforscher Roman Becker, Geschäftsführer des Forum Mainz.

Fahrverbote

Das wird sich auch durch die Autodebatten nicht ändern, und dennoch rechnet der Experte mit Einbußen bei Diesel. Ein Widerspruch? Nein, sagt Becker. "Den Leuten ist egal, was beim Auspuff rauskommt", formuliert er es drastisch. Aber jetzt gehe es um Fahrverbote und den Wert der Autos. "Da wird es für die Leute richtig spürbar", sagt Becker.

Zudem gehe zusehends das Vertrauen in die Technik verloren, weshalb auch die Beziehungsqualität zwischen Kunde und Hersteller leide. Das kann massive Konsequenzen haben – auch für deutsche Hersteller wie eben Volkswagen. Toyota hat das bereits am eigenen Leib erfahren. Klemmende Gaspedale und damit verbundene Massenrückrufe vor acht Jahren wirkten sich äußerst negativ auf den Absatz der Japaner in Nordamerika aus.

"Schnell und billig"

Doch wie lässt sich die These vom rein egoistischen Konsumenten, der auf die Umwelt pfeift, mit boomenden Bioläden und wachsendem Fair-Trade-Angebot in Einklang bringen? Für Roman Becker sind diese Entwicklungen zwar wahrnehmbar, aber nicht signifikant. "Bei der Masse ist das kein Thema", meint er zum Standard, sie setze weiterhin auf "schnell und billig". Das zeigten die regelmäßig wiederkehrenden Lebensmittelskandale, wie derzeit um das Insektizid Fipronil in Eiern deutscher Handelsketten. "Da regt man sich kurz auf und kauft das Zeugs dann doch wieder", führt Experte Becker aus. (Andreas Schnauder, 5.8.2017)