Geschichte und Gegenwart, Ästhetik und Identität: Marko Lulić ist ein unermüdlich Forschender und Fragender. Mit seinen Objekten thematisiert er eine Geschichte des Vergessens und Verdrängens.

Foto: maschekS.

Ausstellungsansicht

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Linz – Die Ausstellung beginnt im Stiegenaufgang: "Site Specifić" steht in oranger Neonschrift auf der Betonwand (übrigens so perfekt eingepasst, dass sich Direktorin Hemma Schmutz überlegen sollte, diese Schrift für immer dort zu belassen). Und, ja, den Akut über dem "c" könnte man leicht überlesen. Großer Fehler bei den Arbeiten von Marko Lulić. Denn seine Kunst liegt (auch) im Detail und im Humor. In diesem Fall ist es nicht nur eine Anspielung auf seinen Namen und seine serbokroatischen Wurzeln, sondern auf die Bedeutung des (örtlichen und zeitlichen) Kontextes, in dem Kunst zu sehen ist.

Futurology heißt die große Schau. Doch die Zukunftsforschung ist in diesem Fall ein beachtlicher Mid-Career-Rückblick. Lulić und sein Kurator, der Architekt Wilfried Kuehn, haben richtig geklotzt, und das ist im Zusammenhang mit Lulićs Kunst keineswegs despektierlich gemeint.

Skulpturen von klein bis monumental aus Beton, Styropor, Holz, Pressspanplatten, Stoff, Stahl, Kunststoff, außerdem Videos, Plakate, Papierarbeiten, architektonische Objekte teilweise beachtlicher Ausmaße und begehbare Installationen: Buchstäblich bis unter die Decke haben die beiden die Räume im ersten Stock mit neunzig Werken gefüllt. Kuehn, Sammler und langjähriger Freund des Künstlers, hat mit seiner klugen Ausstellungsarchitektur jedem Werk trotz der Fülle den nötigen Luftraum gegönnt, Durch- und Querblicke geschaffen und so Zusammenhänge begreifbar gemacht.

Verlust der Utopien

Begreifen und Berühren: Das sind übrigens auch Schlüsselworte in Lulićs multimedialem Universum, nicht nur haptisch, sondern auch intellektuell und emotional. Die Hommage Otti Berger, ein riesiger Patchworkvorhang, erinnert an die 1944 in Auschwitz ermordete serbisch-jüdische Bauhaus-Textildesignerin Otti Berger.

Eher amüsiert hingegen ist man beim Durchschreiten seines mehrteiligen Nachbaus von einem Krker Hoteltraum der 1970er-Jahre inklusive Pool, massiver Holzdecke und Werbevideos mit leicht bekleideten Penthouse-Girls. Hart und weich erzählt von der bemerkenswerten Verquickung von Kapital und Kommunismus, von der Begeisterung des Penthouse-Herausgebers Bog Guccione für das blockfreie Tito-Jugoslawien, das schließlich in besagtem "Jugo"-Hotelpalast der Moderne gipfelte.

Geboren 1970 in Wien, verbrachte Lulić seine Ferien viele Jahre bei der Großmutter in Kroatien, dort wie da fühlte er sich gleichzeitig heimisch und fremd. "Kreisky in Österreich, Tito in Jugoslawien: Das war die Zeit der letzten gelebten Utopien der Moderne. Es schien, als könne es nur aufwärts gehen. Doch in den 1980ern drehte es sich."

Der Verlust der Utopie – und damit einhergehend das Ende der Moderne-Gläubigkeit – ist, was ihn künstlerisch umtreibt, unsentimental, mit ironischer Distanz: "Ich habe keine Angst, mich mit ideologischen Dingen zu beschmutzen", sagt er und nennt seine Werkserie der Verbesserten Partisanendenkmäler eine "Coverversion mit absichtlich falscher Instrumentierung." Für diese Übersetzung vom Einst ins Jetzt, von sozialistischem Realismus in postmoderne Abstraktion, schrumpfte er Partisanendenkmäler Ex-Jugoslawiens und damit auch gleich deren heroischen Überbau.

Denkmalsturz

Er wählt für seine Art des Denkmalsturzes zum Teil billige Materialien und quietschbunte Farben. Nein, so schaut Heldentum nicht aus. Death of the Monument proklamiert denn auch eine Schriftinstallation von 2009. Lulić, und das ist das gleichermaßen Provokante wie Herausfordernde seiner Kunst, ist ein unermüdlich Forschender und Fragender: Wie weit kann man es mit Nationalismus treiben? Welche Relevanz haben historische Zeichen und Codes? Was sagen Formen über die Ideologie dahinter aus? Welche Auswirkungen hat die Geschichte auf das Hier und Jetzt?

Schlicht Walter nennt er ein rosarotes Objekt, Nachbau eines Denkmals, das Walter Gropius zu Ehren der bei einer Demonstration 1920 erschossenen Arbeiter gestaltet hatte und das 1935 von den Nazis zerstört worden war. Auch Mies van der Rohes Memorial für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hatten die Nazis vernichtet. Anhand von Fotos rekonstruierte Lulic es in grellem Orange: "Beide Denkmäler stehen für die Geschichte des Verschwindens." (Andrea Schurian, 7.8.2017)