Ian Kaler ließ Zuschauer an einer Identitätskur teilhaben: "Livfe".

Foto: Eva Würdinger

Wien – I am a mistake nannte Jan Fabre (58) seine Soloperformance mit Dirndldame zum Auftakt von Impulstanz. Der 35-jährige österreichische Choreograf Ian Kaler hat beim Festival am Sonntag im Akademietheater auch ein Solo – Livfe - uraufgeführt. Sein Monolog darin beginnt mit: "I am many things."

Fabre ist extrovertiert und ein selbstironischer "Krieger der Schönheit", sein jüngerer Antipode dagegen introvertiert und ein Ritter auf der Suche nach dem Gral seines Selbst. Beim vorjährigen Impulstanz-Festival war im Leopold-Museum seine mit Anne Quirynen entwickelte Videoinstallation Me becoming myself (unfinished) zu sehen. Wie sich nun zeigt, ist Kalers Kalerwerdung in vollem Gang.

Der Künstler ist ja einer wie alle, von denen sich sehr viele ähnlich zu inszenieren versuchen – obwohl sie dabei zu Marionetten der als "soziale Medien" verstandenen Narzissmusmaschine verzerrt werden. Die Ironie daran: Man will nicht bloß eine billige Nummer sein und wird in der virtuellen Selbstinszenierung zum Gratis-Datenpaket transformiert. Kaler deutet an, wohin es künftig geht.

Spitze gegen Sensationssuche

Man kann sich wie Fabre oder zum Beispiel die junge, aus Österreich stammende Choreografin Oneka von Schrader, die dafür drei Performerinnen und einen Performer braucht, als ironisch inszenieren. Schrader tat das in ihrem Stück Panda Express im Schauspielhaus bei der Impulstanz-Reihe [8:tensions] mit Spitze gegen den nach immer neuen Sensationen suchenden Neoliberalismus. Vom Genüsschen der wahren Teezubereitung bis zur Wonne einer Eigen- und Fremdurin-Trinkkur, vom Exhibitionismus bis zur Schaumparty, geschmackvoll garniert mit Johann Sebastian Bachs Brandenburgischen Konzerten.

In diesem Aufriss der totalen Sinnlichkeit im Ich-bin-mehr-Erlebnis steckt Fabres "I am a mistake"-Witz. Schraders Maskottchen ist der kuschelige Vermarktungshit Pandabär. Vor zwanzig Jahren bei Jérôme Bels Stück Jérôme Bel war der Einsatz von Urin auf der Bühne Teil einer Choreografie der Bezüge zwischen Zeichen und Körper. Schrader geht es jetzt um den Spott über die Bereitschaft, alles in sich zu schütten, Hauptsache, es ist gratis und mit einer Wellness des Teilens verbunden: Share-Economy, Narzissmus inklusive.

Verkörpern sticht erwerben

Eine ähnliche Bereitschaft könnte auch Ian Kaler dazu treiben, das Publikum an seiner Identitätskur teilhaben zu lassen. Er bedient sich einer stylishen und zugleich verdrucksten Form, die Livfe als prätentiöse Selbstseligkeit daherkommen lässt. Dabei darf eine hyperromantische Ferrari-LaFerrari-Werbung genauso wenig fehlen wie das Geständnis: "I want to be surprised." Wer wollte das nicht, und zwar positiv, bitte! "Oh Lord, won't you buy me a Mercedes Benz", röhrte Janis Joplin 1970 und verhöhnte damit die Nachkriegs-Konsumfreude.

Seither hat sich, wie Ian Kaler beweist, einiges verändert. Im Appell an den Schöpfer von Himmel und Herrschaft ist jetzt nicht mehr der Erwerb, sondern die Verkörperung interessant. Das Streben geht dahin, den Mercedes oder Ferrari nicht mehr haben, sondern einer sein zu wollen. Ein Horror für jeden Fabrikanten alter 4.0-Schule, aber gute Aussichten für eine Industrie 5.0, die ihre Kunden zu allem transformiert, was sie sein wollen. Livfe zelebriert das. Der Applaus hielt sich in Grenzen. (Helmut Ploebst, 7.8.2017)