Eine brutale, aber sehr wirksame Strategie von Führungskräften ist die sogenannte Mad Dog Strategy: Man weiß nie, wann der Hund beißen wird – und muss daher selbst eine Strategie fahren, die einen Biss unwahrscheinlich macht.

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In erster Linie müssen Leader eine fürsorgliche Dominanz ausüben. Repressive Dominanz ist nämlich nicht gerade populär. Die Fähigkeiten, Streit zu schlichten, Projekte zu initiieren und den Zusammenhalt der Gruppe zu fördern, sind von eminenter Wichtigkeit, wenn man eine gute Führungsperson sein will. Wer das kann, bekommt von den anderen eventuell diesen Status verliehen. Dann läuft alles wie von selbst.

Der Hahnenkampf

Betrachten wir einmal das Zustandekommen von Rangsystemen bei Tieren: Wenn zwei Kamm-Hähne einen Kampf austragen, so versuchen sie, den Kamm des anderen zu verletzen und damit zu verkleinern. Denn wer den größeren Kamm hat, ist ranghöher. Blutet bei einem der Tiere der Kamm, ist der Kampf vorbei, und der Sieger steht fest. Je größer jedoch ein Kamm ist, desto leichter ist er zu treffen. Größe stellt ergo ein Handicap im Kampf dar.

Aber wer es schafft, so einen großen Kamm zu erhalten, scheint seine Kämpfe in der Regel zu gewinnen. Und da haben wir schon die Signalfunktion des Kamms: "Meiner ist größer als deiner, also versuche erst gar nicht, dich mit mir zu messen." Dieses Signal funktioniert ganz wunderbar. Der Herausforderer mustert den Kamm seines ranghöheren Kontrahenten und gibt klein bei. Er spart sich so Verletzungen und Narben, die in den nächsten Challenges natürlich Beweise vergangener Niederlagen sind. Und wer möchte diese schon offenbaren? Beide profitieren von diesem Unterordnungsverhalten des vermeintlich Schwächeren.

Läuft das nicht ähnlich im Business? Ein kurzes Drohen, in der Folge eine Machtdemonstration des Mächtigeren, und die Sache ist erledigt. Das spart Zeit und andere Ressourcen.

Anschisse als Hilfsmittel

Allerdings kann sich eine Führungskraft von einem großen Unternehmen nicht rund um die Uhr irgendwelchen Herausforderern stellen und diesen durch Demonstration ihrer Überlegenheit ihren Platz deutlich machen. Die Führungskraft braucht etwas, das das ständige Kräftemessen verhindert. Die Kräfte braucht sie nämlich zum Führen des Unternehmens.

Das Mittel der Wahl nennt man Nachrede. Denn wenn sich potenzielle Herausforderer austauschen, wenn schon die Nachrede die Herausforderer erzittern lässt, braucht sich die Führungskraft nicht ständig mit diesen konfrontiert sehen. Was es dazu braucht, ist ein funktionierendes Gerüchte-Verteil-System im Unternehmen. Neue Mitarbeiter, sagen wir zweite Managementebene, müssen via Gerüchteküche möglichst rasch erfahren, wie groß "der Kamm" des Chefs ist – sonst werden sie versuchen, den Kamm selbst einmal in Action zu erleben. Und dafür sollte die Führungskraft eigentlich keine Ressourcen verschwenden müssen.

Sehr hilfreich sind diesbezüglich gelegentliche öffentliche "Anschisse", die sich natürlich wie ein Lauffeuer als neuester Tratsch im Unternehmen verteilen.

Ewiges Streben nach Ranghöhe

Dieses Spiel findet übrigens nicht nur in der ersten oder zweiten Managementebene statt. Es ist allen Menschen am Arbeitsplatz eigen. Und dafür gibt es einen guten Grund. Das temporäre Einzementieren von Rangpositionen in einer Abteilung, in der Führungsetage und im Vorstand sorgt für einen sparsamen Umgang mit Ressourcen. Denn nichts kostet mehr Kraft als ständiges Sägen am Sessel – den Sägenden wie den Sitzenden. Bekommt man das nicht in den Griff, kann es ruinös werden.

Das Streben nach Ranghöhe wird allgemein dadurch erklärt, dass Ranghohe einen erleichterten Ressourcenzugang haben. Bei Tieren ist es das Vorrecht am Futterplatz, die bessere Verfügbarkeit der Weibchen und damit ein höherer Fortpflanzungserfolg. Ob das bei uns Menschen anders ist? Wohl nicht.

Statussymbole

Vorstände, Direktorinnen, Geschäftsführer, CEOs, Inhaberinnen – sie alle zeigen, welche Funktion sie innehaben. Wer ganz oben angekommen ist, kümmert sich zuerst einmal darum, das auch allen mitzuteilen – und wenn geht, subtil. Die Wahl fällt da meist auf die Statussymbole, die man ohne viele Erläuterungen und so ganz nebenbei ständig präsentiert.

Teure Füllfedern ersetzen gebrandete Kugelschreiber, das Mobiltelefon ist stets das begehrteste am Markt, das Notebook ist klein, schnell, stark und gefährlich, und der Anzug ist an den Leib geschneidert. Das Hemd trägt die eigenen Initialen, gut sichtbar gestickt, und die Uhr signalisiert Geschmackssicherheit und Weltläufigkeit. Die Schuhe kosten sichtbar ein Vermögen. Das Auto macht auf dezent, ist aber maximal protzig, der Parkplatz so nahe wie möglich und beschriftet. Das Büro ist in der letzten Etage, geschützt durch ein Backoffice und signalisiert ebenso, dass es da jemand geschafft hat. Moderne oder alte Kunst hängen an den Wänden, der Schreibtisch ist so groß wie das Vertriebsbüro einen Stock tiefer, und die Bildschirme stehen stets perfekt abgestaubt in Reih und Glied. Dicke Türen, dicke Teppiche, alles sehr komfortabel eingerichtet – Statussymbole, wohin man auch schaut.

Grenzen pflegen

Die Theorie zur Machiavellistischen Intelligenz besagt, dass das Verbergen eigener Absichten, taktische Täuschungsmanöver und soziale Unvorhersagbarkeit zum Repertoire erfolgreicher Führungskräfte gehören müssen. Eine brutale, aber sehr wirksame Strategie von Führungskräften dazu ist die Mad Dog Strategy.

Ein dominantes Alpha reagiert auf Provokationen nur dann, wenn ein gewisses, fixes Maß an Frechheiten ihm gegenüber überschritten wird. Dann folgen Sanktionen. Das Alpha ist ständig damit beschäftigt, die Grenzen zu kontrollieren. Die untergeordneten Männchen lernen hingegen sehr schnell den Schwellenwert kennen und beginnen, diesen durch minimale Grenzüberschreitungen, die nicht geahndet werden, zu eigenen Gunsten hin zu verschieben. Das kennt jede Führungskraft zur Genüge. Die beste Gegenstrategie aus Sicht der Führungskraft ist es daher, bezüglich der Bestrafungen nicht mehr vorhersagbar zu sein. Das bedeutet, dass ein Alpha schon wegen absoluter Lächerlichkeiten sehr heftig und aggressiv reagiert, ein anderes Mal aber deutliche Grenzüberschreitungen unbestraft zulässt.

Verrückte Hunde

Diese Strategie wird von Evolutionsbiologen Mad Dog Strategy genannt. Man weiß nie, wann der Hund beißen wird – und muss daher selbst eine Strategie fahren, die einen Biss unwahrscheinlich macht. Die Niederrangigen müssen sich also sehr zurücknehmen, um nicht eventuell wegen einer Kleinigkeit heftig eine abzuräumen. Für das Alpha ist diese Strategie sehr angenehm, muss es doch nicht ständig das Überschreiten selbst niedrig angelegter Schwellenwerte bestrafen. Es spart damit erheblich an Aufwand ein, muss nicht mehr ständig die Grenzen überwachen und kann sich eventuell wieder wichtigeren Tätigkeiten im Unternehmen widmen. Und die Führungskraft darf sogar regelmäßig großzügig und nachsichtig sein – scheint das nicht angenehm? Nicht? (Gregor Fauma, 9.8.2017)