Alexej Uljukajew beim Verlassen des Gerichts.

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Moskau – Vorhang auf für den Korruptionsprozess des Jahres, wenn nicht gar des Jahrzehnts: Vor dem Moskauer Bezirksgericht Samoskworezki hat die Voranhörung des Ex-Wirtschaftsministers Alexej Uljukajew begonnen. Die Affäre demonstriert nicht nur Habgier und Dummheit, sondern auch die Machtkämpfe im inneren Zirkel des Kremls.

Mehr als ein halbes Jahr ist seit der schlagzeilenträchtigen Festnahme Uljukajews vergangen. Der 61-Jährige, der seit der Zeit unter Hausarrest steht, ist in der Zeit sichtlich gealtert. Am Montag kam er statt im feinen Nadelstreifenanzug, den er als Minister bevorzugte, im kurzärmeligen weiß-blau gestreiften Hemd zur Prozesseröffnung. Die Tasche, die über der Schulter baumelte, deutete darauf hin, dass er sich auf die Einlieferung ins Gefängnis vorbereitet hatte. Schuldig bekennen wollte er sich trotzdem "natürlich nicht".

Die Vorwürfe sind dabei genauso bizarr wie schwerwiegend: Uljukajew soll als Minister versucht haben, Rosneft-Chef Igor Setschin zu erpressen. Zwei Millionen Dollar habe er gefordert, um die von Rosneft begonnene Übernahme des kleineren Ölkonzerns Baschneft nicht zu behindern, so die Anklage. Laut den Ermittlern wurde Uljukajew mit dem Schmiergeld im Dienstauto gestellt. Bei einer Verurteilung drohen dem langjährigen Top-Beamten 15 Jahre Haft.

"Lächerliche" Bestechungssumme

Experten haben von Anfang an Zweifel an der offiziellen Version gehegt: Die Bestechungssumme sei für einen Minister geradezu lächerlich, meinte der Vizedirektor von Transparency International in Russland, Ilja Schumaow. "Zwei Millionen Dollar ist das Niveau eines Vizebürgermeisters", sagte er. Der Chef des Unternehmer- und Industriellenverbands Alexander Schochin bezweifelt hingegen den Erpressungsversuch: "Man muss verrückt sein, um einen Monat, nachdem das Geschäft formal juristisch und politisch abgesegnet wurde, Rosneft zu drohen und zwei Millionen von Igor Iwanowitsch Setschin, faktisch einem der mächtigsten Männer unseres Landes, zu erpressen", sagte er.

Tatsächlich gilt Setschin als einer der engsten Vertrauten Putins. Mit dem Präsidenten hatte er bereits in der Stadtverwaltung von St. Petersburg gearbeitet, später war Setschin ihm wie ein Schatten nach Moskau in die Geheimdienstzentrale und anschließend in den Kreml gefolgt. Setschin gilt als Drahtzieher hinter der Yukos-Affäre, auf deren Trümmern er später den staatlichen Konzern Rosneft aufbaute, den er heute leitet. Mit Putin ist er immer noch im engen Kontakt.

Weit enger, als der zum sogenannten liberalen Flügel in der Regierung gehörende Moskauer Finanz- und Wirtschaftsexperte Uljukajew dem Petersburger Geheimdienstler Putin je war. Ein Erpressungsversuch gegen Setschin wäre damit tatsächlich waghalsig. In einigen russischen Medien kursiert daher die These, dass Uljukajew Opfer einer raffinierten Intrige – und seiner eigenen Habgier wurde. Das Bestechungsgeld sei ihm als "Belohnung" angeboten worden, und er habe zugegriffen, so die Version. Geschwächt wurde damit in erster Linie Premier Dmitri Medwedew.

Der Prozess, dessen Hauptverhandlung auf die nächste Woche verlegt wurde, könnte einiges Licht in die Affäre werfen. Immerhin soll er nach der Voranhörung hinter verschlossenen Türen demnächst unter Beteiligung der Öffentlichkeit fortgesetzt werden. (André Ballin aus Moskau, 8.8.2017)