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Das Verhältnis zwischen Xi Jinping und Donald Trump ist wechselhaft – und das könnte zu folgenschweren Fehleinschätzungen führen.

Foto: REUTERS/Carlos Barria/

Als Chinas starker Mann Xi Jinping kürzlich den 90. Gründungstag der Volksbefreiungsarmee mit einer Militärparade feierte, gelobte sie ihm absolute Treue. Millionen verfolgten im Fernsehen, dass die anderen sechs Mitglieder des Politbüroausschusses beim Armeeaufmarsch fehlten: Xi lieferte eine One-Man-Show ab. In wenigen Wochen will er nach dem Ende seiner fünfjährigen Amtszeit auf dem 19. Wahlparteitag in Peking die Weichen für ein neues Zeitalter stellen.

Neu war auch, wie Xi sich von den Soldaten huldigen ließ. Auf seinen traditionellen Zuruf "Ich grüße euch, Genossen" hätten sie antworten müssen: "Wir grüßen unseren Führer!" Stattdessen riefen sie: "Wir grüßen den Vorsitzenden!" Vergangenen Herbst hatte Xi sich zum "Kern" der Partei ernennen lassen und ist seitdem deren "Vorsitzender." Militärzeitungen nennen den 64-Jährigen inzwischen auch "tongshuai", den Oberbefehlshaber Chinas. So wurde einst nur Mao gerufen.

Vorsitzender und Vordenker

Xi tritt auch als neuer marxistischer Vordenker in Maos Fußspuren: Der große Vorsitzende hatte seiner Partei die "Mao-Tsetung-Ideen" hinterlassen. Heute laufen die propagandistischen Vorbereitungen auf Hochtouren, um auf dem kommenden Parteitag die "Xi-Jinping-Ideen" ins Parteistatut aufzunehmen. Sie stehen für eine Serie von Maßnahmen zur Modernisierung der Wirtschaft und Gesellschaft und für Chinas Anspruch, international eine Führungsrolle zu spielen und die Seidenstraßenoffensive initiiert zu haben. Xi wird so der Dritte im Bunde von Mao und Deng Xiaoping, die als Leittheoretiker die Alleinherschaft der KP legitimieren dürfen. Parteizeitungen schreiben: "Mao ließ die Nation aufstehen. Deng machte sie reich. Xi wird sie wieder groß und militärisch stark machen."

Nur einer könnte Xi noch in die Quere kommen: US-Präsident Donald Trump hat ebenfalls geschworen, alles daran zu setzen, die USA zu vormaliger Größe zu erwecken. Xi und Trump könnten auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein. Der aus einer "roten", unter Mao verfolgten Familie stammende, sich verbissen über den Karriereweg durch die Provinzen hocharbeitende Parteifunktionär Xi tritt heute als Champion des freien Welthandels und des Klimaschutzes auf, überall dort, wo es den Interessen seines Landes dient.

Der Milliardär Trump, der Quereinsteiger, will sein Land dagegen abkapseln, aus internationalen Verpflichtungen lösen und von Umweltschutzbeschränkungen befreien, um die US-Wirtschaft wieder zur Gewinnerin zu machen. Der Egomane muss seine umstrittenen Entscheidungen aber auf dem freien Markt austragen. Er gibt sie über Twitter preis und hat sich dafür täglich vor einer unabhängigen Justiz und Presse zu rechtfertigen. Alleinherrscher Xi hat es einfacher: Er ist in seiner Parteidiktatur niemandem rechenschaftspflichtig.

Doch es gibt verblüffende Übereinstimmungen zwischen den beiden Männern, schreibt Harvard-Professor Graham Allison. In seinem Buch Destined for War (Zum Krieg bestimmt) identifiziert er mehrere Handlungszwänge, die Xi und Trump auf Kollisionskurs bringen könnten.

"Falle des Thukydides"

Beide treibt der Ehrgeiz an, ihrer Nation wieder zu neuer Größe zu verhelfen; beide sehen im anderen das entscheidende Hindernis dazu; beide sind auf ihre einzigartigen Führungsqualitäten stolz; beide halten nur sich für fähig, ihre Nationen wiederzubeleben; und schließlich setzen beide nach innen radikale Veränderungen durch und mobilisieren ihre Anhänger mit populistischen Rezepten. Bei Xi ist es der Kampf gegen die Korruption, bei Trump gegen das Establishment.

Allison warnt seit Jahren davor, dass die USA und China in die "Falle des Thukydides" schlittern und es zum Krieg kommt. Er bezieht sich auf den altgriechischen Historiker, der den Ausbruch des Krieges zwischen der damals etablierten Großmacht Sparta und dem aufsteigenden Athen den Befürchtungen Spartas zuschob, von Athen überholt zu werden. Allison untersuchte ähnlich geartete Krisenlagen zwischen neuen und alten Großmächten seit dem 15. Jahrhundert – und fand 16 Beispiele. In zwölf Fällen führte die Rivalität zum bösen Krieg. Er nennt es eine "der brutalsten Tendenzen in der Geschichte".

Diese Warnung motivierte den damaligen US-Präsidenten Barack Obama, 2015 mit Xi darüber zu sprechen, wie man vermeiden könne, in die Thukydides-Falle zu geraten. Entscheidend sei, keine voreiligen falschen Schlüsse über Entwicklungen beim anderen zu ziehen. Obama nannte es "die Fähigkeit, zu lernen, Differenzen gemeinsam managen zu können".

Doch zwischen Trump und Xi wächst die Gefahr von Fehleinschätzungen. Trumps Tweets zeigen ein Wechselbad an Emotionen in der Beurteilung des anderen. Vor wenigen Wochen lobte er die "ausgezeichneten" Gespräche mit Xi, als es darum ging, die von Nordkorea ausgehende Atomwaffengefahr einzudämmen. Jüngst twitterte er aber, er sei "tief enttäuscht" über das "Nichtstun" von Xi und erinnerte an hunderte Milliarden US-Dollar chinesischer Handelsüberschüsse, die China zulasten der USA einstreiche. Peking warnte darauf die USA, keinen Handelskrieg zu provozieren.

Auch Washington hat Mühe, Xis Politik zu deuten: ob sich dahinter innenpolitisches Kalkül vor dem Parteitag verbirgt oder geostrategische Schachzüge seiner Außenpolitik. Das gilt etwa für Chinas weltweit operierende Marine oder für den weiteren militärischen Ausbau der im Südchinesischen Meer aufgeschütteten Inselstützpunkte Chinas.

Warnung an die Nachbarn

Bei der Militärparade warnte Xi alle Nachbarn: "Wir werden keinem Einzelnen, keiner politischen Partei oder Gruppe jemals erlauben, chinesisches Gebiet abzutrennen." Er spielte damit auf den seit zwei Monaten eskalierenden Grenzstreit im Länderdreieck China, Bhutan und Indien an, wo sich chinesische und indische Grenztruppen feindselig gegenüberstehen.

Allison schreibt, es gebe zwar keinen Automatismus für die Thukydides-Falle. Aber er warnt auch, dass sich die dynamische Entwicklung zum Krieg hin unter Xi und Trump in den nächsten Jahren wohl verschärfen wird. China bereitet sich jedenfalls vor und baut sein Militär aus. (Johnny Erling aus Peking, 9.8.2017)