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Foto: REUTERS/Suhaib Salem

Mossul/Wien – Mit der proklamierten Befreiung einer großen Stadt wie Mossul ist zwar das Schlimmste, aber bei weitem noch nicht der ganze Schrecken vorbei. Auch vier Wochen nachdem die irakische Regierung ihren Sieg über den "Islamischen Staat" verkündet hat, tauchen aus dem Nichts IS-Kämpfer auf, Selbstmordattentäter sprengen sich in die Luft, noch immer werden ältere Massengräber, aber auch neue Tote gefunden.

Besonders der Westen Mossuls, der zuletzt befreit wurde, wird als so unsicher empfunden, dass Familien daraus fliehen. Andere kommen zwar aus den Flüchtlingslagern zurück, aber nicht wenige davon geben angesichts der Lage bald wieder auf und gehen zurück ins Lager. Die in die Höhe geschossenen Mieten können sich viele, die ihre Wohnungen verloren haben, nicht leisten, berichtet "Rudaw" online. Es gibt keine Jobs, alles ist teuer. Besonders Westmossul ist nach monatelangen Luftangriffen, Häuserkampf und absichtlichen Sprengungen durch den IS – wie jene der berühmten Großen Moschee – schwer zerstört.

Die Zahl der aus Mossul stammenden Inlandsflüchtlinge wird mit etwa 850.000 angegeben – aber viele Geflüchtete sind bei Verwandten untergekommen und nicht registriert. Bevor der IS Mossul im Juni 2014 überrannte, hatte die Stadt zweieinhalb Millionen Einwohner.

Zahlreiche Sprengfallen

Mossul ist voller Sprengfallen. Eine US-Firma, Janus Global Operations, ist mit der Entminung beauftragt worden: Auf ihrer Homepage zitiert sie einen US-Offiziellen, der sagt, so etwas wie die Verminung Mossuls habe er noch nie gesehen. Es wird mindestens ein Jahr dauern, bis Sprengfallen und nicht explodierte Munition in der Stadt beseitigt sind, ganz zu schweigen vom Umfeld.

Der IS ist in Mossul geschlagen, aber er gibt – wider die Erwartung – nicht auf. Kämpfer haben sich in die Hamrin-Berge und ins Grenzgebiet zu Syrien zurückgezogen, und sie scheinen auch in Bagdad wieder einzusickern, wo die Zahl der Anschläge steigt.

Die Behörden verfolgen eine restriktive Informationspolitik, dazu gehört es, Gewaltereignisse systematisch herunterzuspielen. So blieb etwa von einem IS-Selbstmordanschlag im Hauptquartier der Eliteeinheit Goldene Division in Westmossul von den anfänglich gemeldeten sieben Toten und vier Verwundeten offiziell nur der getötete Attentäter übrig.

Ölschmuggel

Wie in jeder von Kämpfen verwüsteten Stadt, in der sich eine neue Autorität erst durchsetzen muss, gibt es mit der Kriegswirtschaft zusammenhängende Kriminalität. Zuletzt gab es Berichte, dass Elemente schiitischer Milizen in den Ölschmuggel verwickelt sind und mit der Bundespolizei, die Teile der Stadt von der irakischen Armee übernommen hat, über die Kontrolle einer Brücke aneinandergerieten.

Man muss sich jedoch immer genau ansehen, woher diese Informationen stammen: Sehen die einen in den (meist) schiitischen Hashd al-Shaabi (Volksverteidigungseinheiten), von denen einige mit dem Iran kooperieren, die Retter des Irak vor dem IS, so sind sie für die anderen nicht viel besser als der IS selbst.

Übergriffe auf Zivilisten

Übergriffe auf mutmaßliche IS-Kollaborateure sind jedoch nicht nur durch die Hashd, sondern auch durch die Armee belegt. Mit IS-Angehörigen wird oft kurzer Prozess gemacht. Auf die irakische Justiz kommt so eine mehrfach schwierige Aufgabe zu.

Die Kontrolle über Mossul und über die gesamte Provinz Niniveh ist stark fragmentiert, Zuständigkeiten sind oft unklar und ändern sich ständig. Die Bodenoffensive auf die Stadt Tal Afar westlich von Mossul, die der IS mit etwa 3.000 Kämpfern noch immer hält, verzögert sich. Auch hier geht es um die Frage, wer die Operation anführt und welche Rolle die schiitischen Hashd – auch nach der Befreiung – spielen sollen: Tal Afar, das gleich nach 2003 zum Zentrum sunnitischen Extremismus wurde, ist ursprünglich die Heimat schiitischer Turkmenen.

Irakische Revolutionsgarden

Der Disput um die Milizen ist eines der großen irakischen Probleme der Post-IS-Ära. Dabei geht es vor allem um den iranischen Einfluss auf mehrere mächtige Milizen (Kataib Hisbollah, Asaib Ahl al-Haq, Badr-Milizen), die ihre Loyalität zum Iran und den Wunsch, irakische "Revolutionsgarden" aufzubauen, gar nicht verbergen. Ihre Exponenten streben auch in die Politik.

Im Gegensatz dazu stehen jedoch andere schiitische Milizen unter dem Einfluss von Ayatollah Ali Sistani in Najaf und dem einstmals radikalen Mullah Muqtada al-Sadr. Die beiden Schiitenführer – der eine die höchste religiöse Instanz des Irak, der andere politisch einflussreich – fordern ausdrücklich, dass alle paramilitärischen Gruppen nach Kampfende aufgelöst beziehungsweise in die Armee eingegliedert werden. Nominell gehören ja die Hashd al-Shaabi bereits zum Heer. Aber die Iran-abhängigen Gruppen wollen sich eben ihre Eigenständigkeit, eigene Kommandostruktur, andere Zuständigkeiten bewahren, wie die Pasdaran im Iran.

Kurdisches oder arabisches Land

Mit Sorge sehen auch die Kurden die vermehrte Präsenz der Iran-nahen Hashd auf jenem Territorium, das nach Ansicht der Kurden Teil ihres Staatsgebiets sein wird, sollten sie die Unabhängigkeit ausrufen. Am 25. September findet das kurdische Unabhängigkeitsreferendum statt, auch in manchen zwischen Kurden und Arabern umstrittenen Teilen. Zwar sind so gut wie alle anderen politischen Kräfte und Parteien – sowie die Nachbarstaaten – dagegen, dass die Kurden den irakischen Staat verlassen. Die Töne, was man dagegen tun soll, sind jedoch unterschiedlich. Einige schiitische radikale Prediger rufen zu nichts weniger als Krieg auf. Nach dem Sieg über den IS steigt im Irak die Gefahr eines Konflikts zwischen den Siegern. (Gudrun Harrer, 10.8.2017)