Der Mensch überlebt einen Flüssigkeitsverlust von zehn Prozent seiner Körpermasse nicht.

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Wien – Gerade im Hochsommer ist der Durst groß, der Griff zur Wasserflasche oder das Aufdrehen des Wasserhahns eine regelrechte Erlösung. Da stellt sich unweigerlich die Frage: Was wäre, wenn Wasser nicht allzeit verfügbar ist? Wie lange hält es der Mensch ohne die Zufuhr von Flüssigkeit aus?

Die Antwort lautet, wie so häufig: Das ist individuell unterschiedlich und hängt von diversen Faktoren wie körperliche Aktivität, Umgebungstemperatur oder Schwitzen ab. "Geschätzt kann ein gesunder Mensch so zwischen vier und sieben Tage ohne Flüssigkeitszufuhr überleben", sagt Cem Ekmekcioglu, Ernährungsmediziner an der Med-Uni Wien.

Die Forschung geht vom theoretischen Wert aus, dass ein Flüssigkeitsverlust von zehn Prozent der Körpermasse oder mehr tödlich wäre. Demnach würde eine 70 Kilogramm schwere Person nicht überleben, wenn sie sieben Liter oder mehr an Flüssigkeit verliert. Was im Körper passiert, wenn er nicht mehr mit Trinkbarem versorgt wird? Grob gesagt: Die Zellen stellen ihre Funktionen ein. "Schon etwa eineinhalb Prozent Verlust an Flüssigkeit der Körpermasse wird mit körperlichen und geistigen Leistungseinbußen in Verbindung gebracht", erklärt Ekmekcioglu.

Körper schaltet auf Sparflamme

Die Frage, wie lange der Mensch ohne Essen – genauer gesagt ohne Energiezufuhr – überlebt, ist ebenso nicht eindeutig zu beantworten. Der Grund dafür: Wissenschaftliche Studien dazu lassen sich nur schwer durchführen. Zahlen und Fakten basieren zumeist rein auf historischen Beobachtungen.

Etwa dann, wenn Menschen in Hungerstreik getreten sind. Berühmtestes Beispiel dafür ist wohl der indische Friedensaktivist Mahatma Gandhi, der in den 1930er und -40er Jahren mehrmals für mehrere Wochen die Nahrungsaufnahme verweigerte.

Das Überleben ohne Nahrungsaufnahme hängt in erster Linie vom individuellen Gesundheitszustand ab. Fakt ist: "Ohne Essen überlebt man wesentlich länger als ohne Trinken", sagt Theresia Tiller, die in Wien ein ambulantes Therapiezentrum für Menschen mit Essstörungen leitet. "Wenn die Energiezufuhr fehlt, schaltet der Körper automatisch auf Sparmechanismus", erklärt sie. "Das Herz wird langsamer, der Blutdruck sinkt, das wiederum hat eine sekundäre Wirkung auf die Organe." Richtig gefährlich werde es ab einem BMI (Body-Mass-Index) von unter zwölf, bei einem Wert unter zehn sei der Mensch ohne akute Hilfe nicht mehr lebensfähig.

Fettdepots entscheiden über Leben und Tod

Ausgehend von einem gesunden Menschen sind es wiederum die Fettdepots, die letztendlich über Leben und Tod entscheiden können. Das heißt: Je mehr Fett im Körper angelegt ist, desto länger zehrt er von den Reserven. "Schätzungen liegen im Bereich von 30 bis 50 Tagen, wobei auch schon nach zum Beispiel 20 Tagen der Tod eintreten kann", sagt Mediziner Ekmekcioglu.

Wichtiges Detail: Auch wenn keine Energie in Form von Nahrung aufgenommen wird, sind Flüssigkeit, Spurenelemente und andere Mikronährstoffe unabdingbar. "Das verhindert unter anderem Vitaminmangel und damit verbundene Störungen, in der Endphase schützt es aber nicht vor dem Tod."

Anforderung: Blutzuckerspiegel halten

Wie der Körper mit Nahrungsentzug umgeht, lässt sich in drei Phasen einteilen. Fest steht: Er muss den Blutzuckerspiegel auf einem Mindestniveau halten, da das Gehirn auf die Glucosezufuhr angewiesen ist.

Die erste Phase des Nahrungsentzugs erleben wir täglich – in der Nacht, wenn wir mehrere Stunden schlafen und keine Nahrung zu uns nehmen. "Bei diesem kurzfristigen Fasten werden Hormone aktiv, um den sinkenden Blutzuckerspiegel wieder anzuheben", erklärt Ekmekcioglu.

Zu diesen Hormonen gehören Glucagon aus der Bauchspeicheldrüse, Adrenalin aus dem Nebennierenmark sowie vor allem in den frühen Morgenstunden Cortisol aus der Nebennierenrinde. Dabei spalten Glucagon und Adrenalin in der Leber Zucker aus der Speicherform Glykogen, welches ins Blut freigesetzt wird. In der Folge steigt der Blutzuckerspiegel an.

Leber bildet nötige Glucose

Das Problem an diesem Vorgang: Das Glykogen in der Leber reicht nur für zwölf bis maximal 24 Stunden. Zwar ist Glykogen auch in der Muskulatur vorhanden, daraus kann die Glucose aber nicht ins Blut freigesetzt werden. Weil das Gehirn und die roten Blutkörperchen auf eine ständige Glucosezufuhr angewiesen sind, kommt an diesem Punkt ein weiterer lebenswichtiger Schutzmechanismus zum Tragen: die Gluconeogenese. Dabei beginnt die Leber vor allem mithilfe von Eiweißabbauprodukten, Glucose neu zu bilden.

Die zweite Phase des Fastens setzt nach etwa ein bis zwei Tagen ein. Denn beim längerfristigen Nahrungsstopp ist die Glucose in der Leber schnell aufgebraucht. Um trotzdem den lebensnotwendigen Zucker zu produzieren, kommt die Gluconeogenese vermehrt zum Zug. Schon nach ein paar Tagen schrillen im Körper aber die Alarmglocken: Für die Gluconeogenese und den Energiestoffwechsel geht langfristig zu viel Eiweiß verloren – ein lebenswichtiger Bestandteil aller Zellen.

Fettabbau spart Eiweiß und liefert Energie

Nun kommen die Fettdepots zunehmend ins Spiel. Denn Fett ist normalerweise ein hauptsächlicher Energielieferant – beim längerfristigen Fasten umso mehr. Durch den vermehrten Abbau von Fett wird Eiweiß eingespart und den Zellen wieder Energie geliefert. Werden die Fettreserven mobilisiert, werden gleichzeitig vermehrt Ketonkörper gebildet. "Sie dienen vor allem dem Gehirn als zusätzlicher Energielieferant", erklärt Ekmekcioglu.

Problematisch wird es, wenn in der letzten Phase die Fettreserven aufgebraucht sind. Dann muss der Körper wieder vermehrt Eiweiß mobilisieren, um Glucose zu bilden und an Energie zu kommen. Gelingt das nicht, kommt es – oft in Verbindung mit schweren Elektrolytstörungen und Gewebeabbau – zu einem lebensbedrohlichen Zustand. Dieser äußert sich etwa in Herz-Rhythmus-Störungen oder Herzversagen.

Da das Eiweiß sehr wichtig für das Immunsystem ist, können auch lebensbedrohliche Infektionen auftreten. "Man lebt ja nicht isoliert – je weniger Gewicht und Energie man hat, desto anfälliger ist man", sagt Tiller, "eine kleine Infektion kann da schon genügen."

Körperliche und seelische Behandlung

Damit ein wortwörtlich fast verhungerter Mensch wieder an Gewicht zunimmt, kann zu Beginn die Ernährung über eine Magensonde wirksam sein. Neben der körperlichen braucht es aber auch eine seelische Behandlung. "Bei stark unterernährten Menschen gestaltet sich diese schwierig, da die kognitiven Fähigkeiten aufgrund des Nahrungsmangels stark eingeschränkt sind", sagt Tiller.

Langfristig müssen beide Behandlungsmethoden parallel laufen. "Es geht darum, den Menschen zum Essen zu motivieren und gleichzeitig den Nahrungsaufbau wieder langsam anzukurbeln." (Maria Kapeller, 14.8.2017)