Dada Masilo hebt in "Giselle" bei Impulstanz ab.


Foto: John Hogg

Wien – Sie ist eine junge Choreografin, die alles richtig macht. Dada Masilo würgt nicht an kleinteiligen, verquasten oder egomanischen Themen herum. Stattdessen fährt die 32-Jährige aus dem südafrikanischen Johannesburg seit Beginn ihrer Karriere 2008 schweres künstlerisches Gerät auf, mit dem sie seit fünf Jahren auch in Europa einen Triumph nach dem anderen feiert.

In Wien tauchte sie erstmals 2013 bei Impulstanz auf: als William Kentridges Künstlerpartnerin und Tänzerin für dessen Stück Refuse the Hour. Gleich im Folgejahr überzeugte Masilo mit einer speziellen Interpretation des Ballettklassikers Schwanensee. In der diesjährigen Impulstanz-Ausgabe war dieser Swan Lake dreimal bei ausverkauftem Volkstheater wiederzusehen, gefolgt von ihrer jüngsten Produktion, Giselle. Wieder ein Paradebeispiel der europäischen romantischen Ballettliteratur und abermals schwer hitverdächtig.

Zu Dada Masilos Erfolgsgeheimnis gehört, dass sie sich als in Soweto geborene Schwarzafrikanerin von Beginn an auf große Motive des europäischen Bildungskanons konzentriert hat. Ihr erstes Ballett war 2008 Romeo und Julia, im Folgejahr setzte sie mit Carmen nach, und schon 2010 kam Swan Lake heraus. Außerdem hat die Choreografin, die zwei Jahre in Anne Teresa De Keersmaekers Brüsseler P.A.R.T.S.-Schule studierte, ein ausgezeichnetes Gefühl für starke Szenen, prägnante Bilder und ausdrucksvollen Tanz.

Ihr gelingt die Verschränkung von afrikanischem Tanz, europäischem Ballett und Elementen der Moderne so selbstverständlich, als wäre das ganz normal. Ist es aber nicht, denn Masilo speist ihr Publikum nicht mit einer exotisch behübschten Trickkiste ab, sondern konfrontiert es mit starkem Tobak. Die Künstlerin kennt die in den klassischen Balletten verpackten kulturellen Botschaften und dreht selbstbewusst an deren Stellschrauben.

Beispiel Giselle: Da begeht Prinz Albrecht den Fehler seines Lebens. Der schon verlobte Luxusknabe täuscht vor, er wäre ein ganz normaler Bursch vom Land, um die herzige Giselle vom Land um den Finger zu wickeln. Das gelingt ihm, doch der Schwindel fliegt auf.

Masilo führt die Figur von Albrechts Mutter ein, die sich gegen diese Verbindung sperrt. Giselle wird von ihrer hinterfotzigen Clique verspottet und stirbt an dieser Kränkung. Der zweite Akt hat es dann in sich. Denn da kommen die gespenstischen Wilis als Rächerinnen der Getäuschten ins Spiel.

Schon im Original sind diese Geisterwesen brutal, doch Dada Masilo steigert deren Gnadenlosigkeit noch ins Dämonische. Sie treiben Albrecht vor sich her. Giselle, die jetzt zu ihnen gehört, vergibt ihm zum Schein – aber nur, um ihn daraufhin mit der Peitsche zu jagen und doch zu vernichten.

Das erinnert an den Schluss von Swan Lake. Da wird Prinz Siegfried zum Teufel gejagt, dafür versöhnen sich Odile und Odette miteinander, um gemeinsam unterzugehen. In beiden Stücken verweigert Masilo ihren Upperclass-Protagonisten ein tragisch-heroisches Ende und gibt dem Publikum zu verstehen, dass in dem von ihr dargestellten Verständnis von Gerechtigkeit Schönrednerei keinen Platz hat.

Weder Swan Lake noch Giselle sind für ein europäisches Publikum zurechtgeschneidert, das ja den Umgang mit einer alles durchdringenden weichgespülten Brutalität gewohnt ist.

Raue Ästhetik mit Witz

Nichts ist postmodern an diesen Balletten, und damit schaffen sie Raum für eine lang vermisste Geradlinigkeit. Kulturelle Diversität, Genderthematik, Sozialkritik mit eingeschlossen. All das wird in rauer Ästhetik und trotzdem mit Witz auf die Bühne geschleudert. Brillant. (Helmut Ploebst, 10.8.2017)