"Es ist sehr unvorhersehbar. Die Sicherheitslage kann sich jederzeit ändern", sagt Yalda Hakim, die für die BBC drei Wochen lang in der irakischen Stadt Mossul arbeitete.

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Hakim: "Es steckt wenig Freude und Nervenkitzel darin, in den Südsudan zu fahren und wenige Kilometer hinter der Front in einem Zelt zu schlafen."

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Drei Mal berichtete Yalda Hakim für BBC World News aus der irakischen Staat Mossul, wo sie "vollständige Zerstörung" vorfand. Die 34-Jährige wurde in Afghanistan geboren, ihre Eltern flüchteten mit ihr nach Australien, als sie noch ein Baby war. "Mein Hintergrund motivierte mich sicher dazu, Geschichten über Menschen zu erzählen, die normalerweise nicht gehört werden", sagt die Journalistin zum STANDARD.

Dabei jagt sie nicht dem Konflikt nach und ist "keine Sturmjägerin". Hohes Risiko und schwierige Bedingungen machten die Arbeit hart, sagt sie – und widerlegt das Bild vom aufregenden Leben als Kriegsberichterstatterin: "Die Vorstellung, dass irgendetwas an diesem Job glamourös wäre, entspricht nicht den Tatsachen."

STANDARD: Sie kennen Mossul vor und nach der Befreiung vom "Islamischen Staat" (IS) und sind erst vor wenigen Tagen von ihrer letzten Reise dorthin nach London zurückgekehrt. Wie kann man sich die Lage in der Stadt jetzt vorstellen?

Hakim: Ich war zum ersten Mal vor fünf Jahren in Mossul, bevor der IS die Stadt übernommen hat und vor etwa drei Monaten, als der Osten der Stadt befreit wurde. Meine aktuelle Reise vor einigen Wochen führte mich nach Westmossul nach dessen Befreiung. Ich fand dort vollständige Zerstörung vor. Die gesamte Stadt wurde dem Erdboden gleichgemacht und in einen riesigen Friedhof verwandelt. Es gibt keine offiziellen Zahlen, aber Schätzungen gehen von bis zu 40.000 Toten aus.

STANDARD: Wie war es für Sie, die Stadt in so unterschiedlichen Zuständen zu sehen?

Hakim: Es war ziemlich niederschmetternd. Manche Geschichten und Menschen gehen einem wirklich nahe. Ich fühle mich Mossul sehr verbunden, habe dort mit Menschen Brot geteilt und Familien über Jahre kennengelernt. Zurückzukehren und die zerstörte Stadt zu sehen, war sehr schwierig – einer meiner Bekannten wurde hingerichtet, andere sind geflüchtet. Andere Familien die ich getroffen habe, durchlebten das Trauma der IS-Herrschaft und jetzt das Trauma, in einer zerstörten Stadt zu leben.

STANDARD: Haben Sie auch Momente der Hoffnung erlebt?

Hakim: Die Widerstandskraft der Menschen hat mich beeindruckt. Menschen überleben, trotz allem. In Ostmossul etwa kehrt wieder Alltag ein: Es spielt Musik, die Leute gehen Eis essen, Frauen tragen bunte Kleidung. Alles, was der IS verboten hatte, ist jetzt wieder da. Das ist sehr positiv.

STANDARD: Wie schwierig ist es für Sie als Journalistin, professionelle Distanz zu wahren?

Hakim: Ich glaube nicht, dass man das muss. Wir sollen die Geschichten erzählen, wie sie passieren. Wie wir das sehen, hängt von unseren eigenen Erlebnissen ab. Es ist schwierig, eine komplett zerstörte Stadt zu sehen, Kinder mit amputierten Gliedmaßen und Männer und Frauen, die alles verloren haben – und dabei kein Mitgefühl zu haben. Mitgefühl ist bei solchen Berichten unglaublich wichtig. Ich muss zwar darauf achten, mich emotional nicht zu sehr hineinziehen zu lassen, gleichzeitig sollte ich aber einfühlsam sein. Wenn ich meine Empathie verliere, sollte ich mit diesem Job aufhören. Natürlich breche ich nicht jedes Mal zusammen, wenn ich etwas Schreckliches sehe. Aber es ist wichtig für die Menschen, die wir treffen, dass wir verstehen, was sie durchmachen.

STANDARD: Wie sieht ihr Arbeitsalltag als Journalistin in einem Kriegsgebiet aus?

Hakim: Es ist sehr unvorhersehbar. Die Sicherheitslage kann sich jederzeit ändern. Wir müssen also jede Fahrt mit dem Sicherheitspersonal, das uns begleitet, einschätzen. Wir verwenden unterschiedliche Routen und reisen zu unterschiedlichen Zeiten – man versucht, keine Routine zu entwickeln. Ostmossul wurde zwar vor drei Monaten befreit, aber die Lage dort ist immer noch sehr undurchsichtig. Uns wurde gesagt, dass IS-Kämpfer sich unter die Zivilbevölkerung gemischt haben. Grundsätzlich versuchten wir, nicht zu lange am selben Ort und so diskret wie möglich zu bleiben. Der Schlüssel ist, keine Routine zu haben.

STANDARD: Das klingt unglaublich aufreibend, jederzeit alert zu sein und keine regulären Tagesabläufe zu haben.

Hakim: Ja, aber wenn Sicherheit im Zentrum steht, muss man das in Kauf nehmen. Wir wissen nicht, wann wir abgepasst werden oder wann Informationen von einer Rebellengruppe an die andere weitergegeben werden. Wir müssen Interviewpartner an öffentlichen Orten treffen, können niemandem blind vertrauen und können auch nicht einfach in jedes Haus gehen – denn in der Altstadt Mossuls gibt es in 90 Prozent der Häuser Sprengfallen.

STANDARD: Ihre Eltern flüchteten mit Ihnen aus Afghanistan, als Sie sechs Monate alt waren, mit drei Jahren kamen Sie in Australien an. Spielte Ihr eigener Hintergrund eine Rolle bei Ihrer Entscheidung, über Krieg zu berichten?

Hakim: Ja, mein Hintergrund motivierte mich sicher dazu, Geschichten über Menschen zu erzählen, die normalerweise nicht gehört werden. Wir dürfen sie nicht vergessen, wenn der Bericht fertig ist. Ich halte es für wichtig, dass wir uns nicht von den Geschichten entfernen, wenn die Schlagzeilen verschwinden. Meine eigene Geschichte hat sicher mein Interesse daran gesteigert.

STANDARD: Ist das eine rein idealistische Motivation – oder gibt es auch einen Nervenkitzel dabei, aus gefährlichen Gebieten zu berichten?

Hakim: Ich bin keine Sturmjägerin und berichte meistens nicht von der Front. Meistens berichte ich über jene, die im Krieg besonders verletzlich sind – Frauen, Kinder. Oft vergisst man die Orte hinter der Front. Ich produziere pro Jahr sechs halbstündige Sendungen für die BBC und kann Ihnen sagen: Es steckt wenig Freude und Nervenkitzel darin, in den Südsudan zu fahren und wenige Kilometer hinter der Front in einem Zelt zu schlafen – mit sehr wenig Essen und Wasser. Die Vorstellung, dass irgendetwas an diesem Job glamourös sei, entspricht nicht den Tatsachen. (Sebastian Fellner, 16.8.2017)