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"Icarus": Hobbysportler Bryan Fogel möchte den Effekt gezielten Dopings beweisen und landet mitten im russischen Dopingskandal.

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Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Besuch in Sotschi, aufgenommen nach den Winterspielen.

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Wien – Mit Spritzen kennt sich Grigori Rodschenkow aus. Damals, als hoffnungsvoller russischer Läufer, der an die Weltspitze wollte, habe er die Injektionen von seiner Mutter bekommen, Jahre später hat er sie selbst verabreicht. Als Athlet scheiterte er noch, als Chemiker verhalf er Sportlern zu unzähligen Medaillen: Rodschenkow orchestrierte von 2006 bis 2015 als Chef des Moskauer Anti-Doping-Labors Russlands Dopingprogramm, staatlich verordnet und systematisch praktiziert. Mit welch perfiden Methoden manipuliert wurde, erzählt Rodschenkow in Bryan Fogels sehenswerter Doping-Dokumentation Icarus, die derzeit auf Netflix zu sehen ist.

Der Film beginnt im Jahr 2014, als Hobbysportler und Regisseur Fogel mittels Selbstversuchs dokumentieren möchte, welchen Effekt die Einnahme illegaler Substanzen hat. Eine Leistungssteigerung soll den Radfahrer zum Sieg beim Amateurrennen Haute Route durch die französischen Alpen führen – nach Platz 14 im Jahr davor.

Fogels Dopingprogramm überwacht ein Team von Wissenschaftern. Der Sportler jagt sich vor der Kamera Spritzen mit Testosteron in den Körper – zuerst in den Oberschenkel, dann in den Hintern. Dazu kommen Tablettencocktails. Um zu testen, wie Dopinglabore arbeiten, pinkelt er in Becher und friert Urinproben ein.

Als Aufsichtsperson wird ihm Grigori Rodschenkow empfohlen, der sich als Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors seit Jahren mit Doping beschäftigte – Fogel dachte, es wäre der Kampf dagegen.

Er kommuniziert mit ihm via Skype und hält die Konsultationen mit der Kamera fest. Es wird viel gelacht, die Liebe zu Hunden verbindet sie, bis Ende 2014 die ARD-Dokumentation Geheimsache Doping: Wie Russland seine Sieger macht die Sportwelt und Fogel erschüttert.

Medaillenspiegel mit Doping

Mittendrin im Sumpf: Rodschenkow. Er fungierte als Schaltstelle, die auf russischem Boden die Kontrollen der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada torpedierte. Später sagt Rodschenkow zu Fogel, dass von 73 russischen Medaillen bei den Olympischen Sommerspielen 2008 in Peking 30 mit Doping in Verbindung standen. Von 81 Medaillen, die sein Land vier Jahre später in London holte, waren es angeblich bereits 50 Prozent.

Am hinterfotzigsten lenkte er jedoch 2014 das Doping bei den Olympischen Winterspielen im eigenen Land: in Sotschi. Mit ausgeklügelter Manipulation, die etwa ein Loch in der Wand umfasste, durch das Proben geschleust wurden, und mit Geheimdienstagenten tauschte er positive Urinproben gegen saubere aus, die Monate davor abgegeben worden waren. Das Ergebnis waren 33 Medaillen durch russische Sportler, 13 davon in der Farbe ihres Urins: Gold.

Ob Präsident Wladimir Putin Bescheid wusste, beantwortet Rodschenkow mit einem klaren Ja: "Alles war sauber, und Putin war glücklich." Der Plan zum Doping sei schon 2007 geschmiedet worden, unmittelbar nach der Vergabe der Spiele an Sotschi.

Nach der ARD-Doku nimmt die Welt-Anti-Doping-Behörde Wada Ermittlungen auf, die penibel Russlands Dopingmaschinerie beweisen. Rodschenkow wird von Russlands Regierung, die von nichts gewusst haben will, zum Sündenbock gemacht. Er wird entlassen, fürchtet um sein Leben.

Filmemacher Fogel ist längst involviert, jegliche Distanz geht verloren. Der Dopingdompteur mutiert zum Freund. Fogel verhilft Rodschenkow zur Flucht in die USA, wo dieser untertaucht, seine Geschichte der New York Times erzählt und als Whistleblower mit der Wada kooperiert. Die Konsequenzen waren für Russland überschaubar: Bis auf die Leichtathleten durften 2016 bei den Olympischen Spielen in Brasilien alle Sportler an den Start gehen. (Oliver Mark, 11.8.2017)

Trailer: "Icarus"

Netflix