Wien – Alan Vega starb im Sommer 2016 im für seinen Lebensstil sagenhaften Alter von 78 Jahren daheim in New York friedlich im Schlaf. Er hatte zuvor innerhalb kürzester Zeit einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall erlitten, die sich wohl einer jahrzehntelang konsequent eingehaltenen Diät aus Kettenrauchen, Wodka und schnellmachenden Sachen von der Straße verdankten.

Martin Rev und Alan Vega alias Suicide Mitte der 1990er-Jahre. Vom 2016 gestorbenen Alan Vega liegt nun das posthume Soloalbum "It" vor, Martin Rev veröffentlicht aktuell "Demolition 9".
Foto: Red Star Records

Gemeinsam mit seinem musikalischen Kompagnon, dem heute 69-jährigen Martin Reverby alias Martin Rev, gründete der New Yorker 1970 das zu Zeiten der Gitarrengötter mit Billigorgel und klassischer Picking-a-fight-Attitüde gegen das Publikum vorrückende Duo Suicide. 1977 auf dem legendären namenlosen Debüt mit dem Blutzspritzcover hört man bei Songs wie Rocket U.S.A., Cheree und vor allem dem über zehnminütigen Höllenritt Frankie Tear drop ein Rock-’n’-Roll-Hinterhofdrama auf übersteuerter und die Synapsen mit Speed befeuernder Orgelalleinunterhalterbasis. Ungefähr zeitgleich mit Martin Scorseses Taxi Driver erleben wir Amerika als schwer traumatisierte Nation in den Nachwehen des Vietnamkrieges. Armut, Dreck. Dealer, Drogen, Gewalt. Liebe existiert hier nur als "comics book fantasy".

Zu minimalistischen, im Rockabilly-Modus verharrenden Keyboard-Riffs (Rev spielt gern mit den Ellbogen), einer pochenden Drumbox und tief im Echoraum herausgewürgten Alienschreien Alan Vegas gesellten sich neben der Karikatur eines Elvis aus der Hölle später auch Gänsehaut machende, kitschige Elektroschlager wie Dream Baby Dream, die das Grauen erträglicher machen.

Bis herauf zum letzten Studioalbum American Supreme von 2002 kann man jedes Album kaufen. Meistens sind die Lieder des Debüts in tollen Variationen mit anderen Texten darauf enthalten.

Man nennt das Stilwillen. Als "Erfinder" des Punk auf Billig orgel schlugen Suicide anfangs nackte Aggressionen entgegen. Flaschen flogen Richtung Bühne. Alan Vega murkste sich bis zu seiner Heirat mit einer Wallstreet-Anwältin als bildender Künstler mit einem Fai ble für Neonkreuze durch. Rev war Hausmann und versorgte einen Schüppel Kinder.

In ihren Soloarbeiten gingen beide auch stilistisch verschiedene Wege. Alan Vega wandte sich von den 1980ern herauf von skelettiertem Rockabilly zum Synthiepop und zuletzt zu sperrigen und an Songs weniger als an Endzeitpredigten interessierten niederschmetternden Brocken wie dem jetzt posthum erschienenen It zu. Von Altersmilde keine Spur: "The truth is dead at rocket speed."

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Man hört auf It repetitive, sture Riffs auf kaum noch kenntlichen Gitarren, dumpfe Beats und Sounds, die klingen, als würde man einen Laptop als Tischgriller verwenden, um darin Schmusekätzchen zu braten. Darüber verbreitet eine krächzende und verstrahlte Stimme schon auf dem Weg ins Jenseits letztes Unheil. Wir werden Alan alle irgendwann wiedersehen. Stephen Kings It mit dem kinderverzahenden Apokalypseclown läuft im Herbst übrigens neuverfilmt in den Kinos.

Schuld war der Bossa nova

Martin Rev hat solo wenig veröffentlicht, es sind aber auch oft ähnliche Stücke neugemischt zu hören. Ein Mann mit Vision – und Humor. Das neue Album Demolition 9 hätte ebenso gut als (instrumentales) Skizzenbuch für ein Sui cide-Album herhalten können: 34 meist weniger als zwei Minuten dauernde Stücke zwischen heiligem Lärm, Cartoonrock, Orgelbeat, Ambient, Schuld war nur der Bossa nova und ein wenig altersbedingtem Esoterikkram. Beide Ex trempositionen machen letztlich klar, was den Reiz ihres gemeinsamen Duos Suicide ausmacht, eine Kombination aus Ernst, Scherz und Schmerz. (Christian Schachinger, 11.8.2017)