Die niederländische Stadtforscherin Helga Fassbinder wohnt in einem Harry-Glück-Haus in der Wiener Josefstadt. Die Möblierung, sagt sie, solle den Raum respektieren. Aus ihrem Fenster blickt sie hinaus auf alte Platanen.

"Heute früh sah ich schon einen Grünspecht. Und das passiert in der Stadt nicht häufig, schon gar nicht mitten im Achten! Ich wohne im fünften Stock und blicke im Sommer ins Grüne. Ich habe das große Glück, dass ich vor lauter Bäumen die Stadt nicht mehr sehe. Vor dem Fenster wachsen riesige Platanen, Birken, Feldahorne und sogar ein Geweihbaum. Manche Baumkronen reichen bis weit über die Dächer. Das reiche Grün macht mich glücklich. Seit meiner Kindheit habe ich immer städtisch mit Blick ins Grüne gewohnt. Auch als Stadtplanerin kann ich mir kaum etwas Schöneres vorstellen.

"Wenn ich hier reinkomme, habe ich das Gefühl, vollkommen zu Hause zu sein." Helga Fassbinder in ihrem Wohnzimmer mitten im Achten.
Foto: Lisi Specht

Ich fand das Haus vor rund drei Jahren, wie so oft im Leben, per Zufall. Eigentlich suchte ich ganz ziellos nach einer Wohnung, in der ich meine Wiener Tage verbringen kann. Die Maklerin warnte mich am Telefon vor, dass ich vom Haus nicht zu viel erwarten dürfe. Doch die Wohnung, die sei wunderbar ... Als ich ankam, war ich sofort fasziniert von der gefalteten Waschbetonfassade und der großen, eleganten Eingangshalle. Ich bildete mir ein, den Stil zu erkennen, und tatsächlich stellte sich heraus, dass das Haus von Architekt Harry Glück geplant worden war. Für mich war das eine große Freude. Ich halte Harry Glück überhaupt für einen der besten Wohnbauarchitekten. Er verstand es, Lebensqualität zu bauen. Selbst in großer urbaner Dichte ist die Natur stets zum Greifen nah. Ob das nun eine Parkanlage vor dem Haus, ein Blumentrog auf dem Balkon oder ein Schwimmbad auf dem Dach ist.

Fotos: Lisi Specht

Als ich die Wohnung das erste Mal betrat, sah man aber nicht mehr allzu viel von der Schönheit der Architektur. Sie war total barockisiert, es gab einen Rundbogen und überall Stuckleisten und Vorhänge. Ich ließ das alles entfernen und bemühte mich, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Mit einer einzigen Ausnahme: Die Wände sind nun nicht weiß, sondern grüngrau gestrichen – genau die Farbe, mit der auch meine Wohnung in Amsterdam ausgemalt ist. Das gibt mir ein Zuhause-Gefühl.

Ich wohne hier auf 140 Quadratmetern, und ich genieße die Leere. Im Gegensatz zu den schmalbrüstigen Amsterdamer Grachtenhäusern tut sich hier eine gewisse Weite auf. Ich habe nur wenige Möbel, die meisten stammen aus Amsterdam, aber sie respektieren die Architektur: Sitzbank, Fauteuils, Daybed, Tisch und Stühle, alles im Container mitgenommen. Bloß das Sideboard habe ich eigens für diesen Ort entworfen und anfertigen lassen. Das Mahagoniholz passt farblich und vor allem stilistisch sehr gut, weil es eine formale Verbindung zum niedrigen Sitzparapet unter den schmalen, eleganten Mahagonifensterrahmen ist.

Fotos: Lisi Specht

Wenn ich hier reinkomme, habe ich das Gefühl, vollkommen zu Hause zu sein. Aber das geht mir überall so, sobald ein Raum schön und authentisch ist und die Seele der Stadt ausdrückt, in der ich mich gerade befinde – ob das nun Wien, Paris oder Amsterdam ist. Mit anonymen Orten, etwa Hotels, tue ich mir sehr schwer. Ich halte es in einem Hotel nicht aus. Mir fehlt das Sich-wiedererkennen-Können, mir fehlt die Resonanz. Ich denke, das ist wohl auch einer der Gründe, warum ich Stadtplanerin wurde. Es ist mir wichtig, der europäischen Stadt ihre ursprüngliche Identität zurückzugeben. Das hat mit geschichtlichem Bewusstsein, Savoir-vivre, Lebendigkeit, mit der Qualität der öffentlichen Räume zu tun. Gleichzeitig ist es mir wichtig, die Abtrennung von der Natur aufzuheben – auch wenn dies nur der Baum vor dem Fenster ist. Oder das Kriechen und Krabbeln der Insekten, wenn an einem lauen Sommerabend die Balkontüre offen steht." (Wojciech Czaja, 14.8.2017)