In vielen asiatischen Hauptstädten sorgt der verbal eskalierende Schlagabtausch zwischen Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un und US-Präsident Donald Trump für Krisenstimmung. Außer in Peking: In China ist von Nervosität nichts zu spüren, obwohl das Land 1420 gemeinsame Kilometer Grenze mit Nordkorea hat. Im direkten Einzugsgebiet seiner drei Nordostprovinzen wohnen mehr als 120 Millionen Menschen. Hunderttausende leben nur wenige Dutzend Kilometer entfernt von den unterirdischen Atomtestgebieten, wo Pjöngjang bisher fünf Atomwaffen zur Explosion brachte.

Natürlich wissen alle Verantwortlichen, dass die USA im Kriegsfall neben den Artilleriegeschützen an der Waffenstillstandsgrenze sofort auch die Atomwaffenlager bombardieren würden und Chinas Grenzregionen bei falscher Windrichtung bedroht wären. Dennoch sind bisher keine Warnungen an die Bevölkerung bekannt geworden. Der Grund: Niemand glaubt an den Ernstfall. Die staatlich gelenkten Zeitungen dürfen nur verhalten über den Showdown zwischen Trump und Kim berichten. Blogger im Internet und in den sozialen Medien, wo sich kritische Meinungen noch artikulieren können, nennen den angedrohten Angriff auf Guam einen Bluff.

Parteiberatungen

Wer so präzis eine Attacke vorhersagt, meine sie nicht ernst. Nordkorea-Experten wie Zhang Liangui von der Pekinger Parteihochschule vermuten, dass Pjöngjang die USA zur offiziellen Anerkennung Nordkoreas als Atomwaffenstaat zwingen will: "Alles andere wäre Selbstmord." Offiziell scheint Chinas Führung, die sich zu internen geheimen Parteiberatungen im Prominentenbadeort Beidaihe versammelt hat, den Konflikt aussitzen zu wollen.

Die "Global Times", das einzige von der KP-Führung tolerierte Sprachrohr nach außen, erklärte am Freitag: Peking sei nicht in der Lage, auf Washington oder Pjöngjang mäßigend einwirken zu können. "Wenn ihre Handlungen Chinas Interessen verletzten, wird es mit starker Hand antworten."

Zwei Verhaltensszenarien

Das Parteiblatt beschrieb zwei Verhaltensszenarien im Kriegsfall: "Wenn Nordkorea zuerst Raketen abschießt, die US-Territorium bedrohen, und die USA darauf zurückschlagen, wird China neutral bleiben. Wenn aber die USA und Südkorea zuerst zuschlagen, das Regime stürzen, wird China das verhindern."

Pekings Verhältnis zu Pjöngjang, dessen Bündnispartner es im Koreakrieg (1950-1953) wurde, ist längst zerrüttet. Ausgangsdatum dafür war der August 1992. China nahm zum Zorn des damals herrschenden Kim Il-sung, des Großvaters des heutigen Diktators, diplomatische Beziehungen mit Nordkoreas Erzfeind Südkorea auf. Das Kim-Regime beschloss, Atombomben zu bauen. Chinas Führung hielt aus Staats- und Ideologieraison still. Wie frustriert sie über Nordkorea wirklich ist, wurde schon vor Jahren auf Wikileaks veröffentlicht. In vertraulichen Gesprächen mit US-Diplomaten signalisierten hochrangige Pekinger Politiker, dass sie dem Regime im Falle seines Kollaps nicht zu Hilfe kommen würden. Sie seien auch an ihren Grenzen auf 200.000 bis 300.000 Flüchtlinge vorbereitet. Geostrategisch und als Pufferstaat ist der Norden und der Erhalt seines Status quo für die Volksrepublik weiterhin wichtig, damit die mit Südkorea verbündeten USA nicht vor Chinas Grenzen Stellung beziehen können.

Das Argument wiegt heute schwerer, weil Peking mit den USA so viele andere geopolitische Konflikte ausficht, von der Taiwan-Politik bis zum Territorialstreit um das Südchinesische Meer. Schärfer als die Korea-Krise verurteilte Chinas Außenministerium am Freitag, dass das US-Kriegsschiffs John S. McCain sehr nahe an einer der chinesisch besetzten Nansha-Inseln vorbeifuhr. (Johnny Erling aus Peking, 11.8.2017)