Psychiatrie Am Steinhof, Anfang der 1960er-Jahre.

Foto: Harry Weber / ÖNB-Bildarchiv

Wien – Die bevorstehenden Gespräche zu einer etwaigen Entschädigung für Opfer der "Malariafiebertherapie" hat das Thema Psychiatrie und Heime im Wien der späten 1960er-Jahre wieder aufflammen lassen. In der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie ("Klinik Hoff") wurde die "Malariakur" unter anderem an Heimkindern angewendet – bis 1969.

Eine Basis für die Entscheidung wird wohl der (nicht veröffentlichte) "Endbericht" des Forschungsprojekts zum Thema Malaria- und andere Therapien an der Klinik Hoff von 1951 bis 1969 sein, verfasst vom Historiker Gernot Heiss. Er legt sich in der Beurteilung, ob die Therapieformen damals noch State of the Art waren, aber nicht fest.

Eigene Mitarbeiter kritisieren Arbeit

Und seine Arbeit wird scharf kritisiert, von den eigenen wissenschaftlichen Mitarbeitern. Die meisten von ihnen distanzieren sich vom Bericht und von Heiss' Arbeitsmethoden. Ein paar ihrer Kritikpunkte: Heiss hat nicht mit Patienten gesprochen, aber mit Ärzten. Kritische Inputs seiner wissenschaftlichen Mitarbeiter habe er abgelehnt, sei eher aufseiten der Ärzte gestanden.

"Psychiatriekritik"

In der Folge weigerten sich die Wissenschafter, am Endbericht mitzuschreiben, nur der Teil zur "Kinderstation" ist von Wissenschafterin Katja Geiger verfasst. Heiss bestätigt, dass sich seine Exmitarbeiter "von der Studie distanzieren", den Vorwurf, er stehe auf der Ärzteseite, weist er zurück. Er sei nicht "der Staatsanwalt, der Belastendes finden muss", sagt er, "ich bin neutral und habe berichtet, wer welche Therapie wie oft bekam und wie das in der Literatur gesehen wurde".

Er habe auch Umstände, die "auf Problematisches und Missbräuchliches schließen lassen, nicht ausgeblendet". Seine Exmitarbeiter dagegen "wollten Psychiatriekritik machen". Heiss: "Nächstes Mal frage ich, wem der Psychiatriefilm Einer flog übers Kuckucksnest gefällt. Wer begeistert ist, den würde ich nicht ins Mitarbeiterteam nehmen."

"Keine therapeutische Absicht"

Einer der Kritikpunkte eines involvierten Wissenschafters dreht sich um jene "Malariaopfer", die von der Psychiatrie "Am Steinhof" in die Uniklink zur "Malariakur" gebracht wurden. Man habe Fälle gefunden, bei denen klar sei, dass hinter ihrer Behandlung "keine therapeutische Absicht stand. Diese Patienten wurden einzig und allein angeliefert, um als Stammträger für den Malariaerreger zu dienen", sagt der Wissenschafter, der 2400 Krankenakten auswertete.

Stimmt das, wäre das strafrechtlich relevant – allerdings verjährt. Zur Erinnerung: Der Erreger der Malaria Tertiana überlebt nur im menschlichen Blut, die Übertragung in der Klinik erfolgte per "Überimpfung" von einem zum anderen Patienten.

Absprachen

Im Endbericht findet sich ein Hinweis auf 18 Patienten, auf die das zutreffen könnte, bei ihnen sei laut Krankenakte "die Anwendung der Malariafieberkur vordringlich mit der Funktion als Stammträger – also der Erhaltung des ... infizierten Blutes – zu begründen". Allerdings gebe es auch "Gegenargumente". So fand der Studienautor auch eine Interpretation für die "Kürze der meisten Anamnesen" dieser Patienten ("Kommt vom Steinhof zur Malariatherapie"). Dem könnten ja "Absprachen der Ärzte der eng miteinander verbundenen" Kliniken vorangegangen sein, mutmaßt Heiss. Er will, wie berichtet, 2018 ein Buch mit weiteren Rechercheergebnissen veröffentlichen.

Nachwehen der NS-Zeit

Während der Umgang mit Heimkindern im Österreich der Zeit nach 1945 bereits öffentlich bekannt ist, kennt die Öffentlichkeit das Schicksal von Kindern in psychiatrischen Anstalten kaum. Der frühere Primar am Neurologischen Zentrum Rosenhügel in Wien, Ernst Berger, fasste den Zustand der Kinderpsychiatrie "in den 30 Jahren nach 1945" in einem jüngst erschienenen Buch so zusammen: Sie "war ein buntes und teilweise auch dunkles Flickwerk (mit bräunlichen Spritzern)". Natürlich sei nach 1945 am Kinderpavillon am Steinhof "nicht mehr gemordet worden (wie am Spiegelgrund in der NS-Zeit; Anm.). Es ging aber in diesen Jahren mehr um Bewahrung als um Betreuung schwer behinderter Kinder", hält Berger fest.

Gräuel von 1945 bis 1989

Genauestens erschließt sich das aus der vom Wiener Krankenanstaltenverbund unterstützten Studie "Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in der Wiener Psychiatrie von 1945 bis 1989". Auf 633 Seiten ist darin zu erfahren, wie die "stationäre Unterbringung" am Steinhof und Rosenhügel aussah. Von Gräueln zu reden erscheint nicht übertrieben.

Vernachlässigung war Programm, Ein- und Wegsperren Therapie. Trinken mussten Kinder am Pavillon 15 des Steinhof auf und aus den Toiletten, weil "die haben die Leute verdursten lassen", berichtete eine Expatientin von Anfang der 1980er. Warum laut Autoren auch das Personal mitspielte? Sein "moralisches Bezugssystem war außer Kraft gesetzt". (Renate Graber, 12.8.2017)