Vermögen steigen, wenn die Zinsen sinken oder wenn die Ansprüche auf künftige Einkommen steigen.

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Vor mittlerweile drei Jahren erschien Pikettys Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert auf Englisch und Deutsch. Anschließend an den zunehmenden Unmut über die steigende Ungleichheit innerhalb der reichen Länder des Westens löste das Buch eine breite Debatte über die Ursachen dieser steigenden Ungleichheit und mögliche politische Antworten aus. Wo steht die Debatte heute?

Pikettys Hauptargument kann wie folgt zusammengefasst werden: Empirisch ist das Wirtschaftswachstum langfristig niedriger als die Rendite auf Vermögensbesitz. Das hat mehrere tiefgreifende Folgen für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Vermögenseinkommen werden zu einem guten Teil gespart. Deswegen wachsen Vermögen schneller als Einkommen (BIP), und das Verhältnis von Vermögen (Kapital) zu Einkommen wird immer größer. Weil die Renditeraten aber nicht fallen (wiederum eine empirische Beobachtung), bedeutet das, dass ein wachsender Anteil des BIP an Kapitalbesitzer und -besitzerinnen geht.

Durch Erbschaft reich werden

Es bedeutet außerdem, aus rein mechanischen Gründen, dass Erben (im Gegensatz zu Lohnarbeit) ein immer wichtigerer Weg wird, um reich zu werden. Weiters wachsen große Vermögen im Schnitt schneller als kleine, sodass auch die Verteilung der Vermögen immer ungleicher wird. Und schließlich verwenden die Besitzer der daraus resultierenden großen Vermögen ihren gestiegenen Anteil an den Einkommen, um politischen Einfluss auszuweiten und bestehende Verhältnisse einzuzementieren. Pikettys Vorschlag, um dem gegenzusteuern, ist eine internationale progressive Vermögenssteuer.

Was sagen Ökonomen zu diesen Argumenten? Fast alle Kommentatoren sind sich einig über die dramatischen Fakten, die Piketty und seine Koautoren dokumentiert haben: stark steigende Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten, insbesondere in den angelsächsischen Ländern, und ein starker Anstieg von Vermögen in Relation zu Einkommen.

Weniger Einigkeit herrscht bezüglich der Erklärungen, Zukunftsprognosen und politischen Schlussfolgerungen. Während die Mechanismen, die Piketty diskutiert, sicherlich eine wichtige Rolle spielen, gibt es noch zahlreiche andere Faktoren, die zu steigender Ungleichheit beitragen und die wir nicht ignorieren sollten.

Drei gute Gründe

Zum Ersten hat technischer Wandel potenziell dramatische Auswirkungen. Er trägt möglicherweise bei zu konstanten Renditen bei steigendem Kapitalstock, zur steigenden Ungleichheit zwischen Menschen mit höheren und niedrigeren Bildungsabschlüssen, zum Verschwinden von Jobs in der Mitte der Einkommensverteilung und zur steigenden Dominanz von Großkonzernen und reduziertem Wettbewerb. Roboter und Computer ersetzen Arbeitsfelder mit mittlerer Qualifikation, Internettechnologie erleichtert globale Auslagerung, und Plattformen (soziale Netzwerke, Wohnungsvermietung ...) profitieren von ihrer Größe, verdrängen Konkurrenz und machen entsprechende Profite.

Zum Zweiten wird nicht nur Finanz- und Imobilienvermögen vererbt, sondern auch Bildung, kultureller Status etc. Auch diese Vererbung trägt zur Ungleichheit bei und verstärkt die Dynamik der Vermögensungleichheit. Das Bildungssystem hat eine zentrale Rolle in dieser Vererbung, und insbesondere breite öffentliche frühkindliche Bildungsangebote können hier einen großen Ausgleichseffekt haben.

Zum Dritten spielen politische Rahmenbedingungen eine große Rolle in der Entwicklung der Vermögens- und Einkommensverteilung. Der Anstieg der Ungleichheit im Westen hat immer genau dann begonnen, wenn neoliberale Regierungen an die Macht kamen (Thatcher in Großbritannien, Reagan in den USA etc.).

Umdrehen der Perspektive

Pikettys Erklärung der Vermögensverteilung ist rückwärtsgewandt: "Vermögen besteht aus vergangenen Ersparnissen, wer mehr Einkommen aus Vermögen hat, kann mehr sparen, dadurch werden die Reichen reicher. Aber man kann die Perspektive auch umdrehen und Vermögen aus der Zukunft heraus erklären: Vermögen sind rechtlich verbriefte und handelbare Ansprüche auf künftige Einkommen (Zinsen, Dividenden, Mieten). Der Marktwert von Vermögen bestimmt sich aus dem Verhältnis dieser Einkommen zum Marktzinssatz. Vermögen steigen, wenn die Zinsen sinken oder wenn die Ansprüche auf künftige Einkommen steigen. Und da kommt die Politik ins Spiel. Von der Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften bis zu den Regeln für intellektuelles Eigentum, von politisch akzeptierter Marktkonzentration bis zu den Rahmenbedingungen für Unternehmensführung und Managerentlohnung bestimmen zahllose politische Entscheidungen, wie viel Einkommen an Kapitalbesitzer und -besitzerinnen geht, und damit indirekt, wie viel Vermögen es gibt und wer es besitzt.

Technischer Wandel und Arbeitsmarkt

Und schließlich spielt die durch den technischen Wandel erleichterte Neuorganisation des Arbeitsmarkts eine Rolle für die Lohnverteilung. Von Reinigung und Wachpersonal bis zu Buchhaltung und Produktion werden immer mehr Aufgaben, die traditionell innerhalb von Unternehmen stattfanden, ausgelagert, lokal oder international. Und Leistungen, die durch Angestellte von Unternehmen erbracht wurden (Hotels, Taxis), werden zunehmend über Plattformen von (Schein-)Selbstständigen ausgeübt. Damit geht einher, dass die Löhne und sozialen Absicherungen in den ausgelagerten Bereichen sinken, während eine privilegiertere Minderheit höhere Löhne in den Kernunternehmen erhält und die Profite der Kernunternehmen steigen.

Die vielleicht wichtigste Folgerung aus diesen Diskussionen ist, dass es nicht nur einen Mechanismus gibt, der die steigende Ungleichheit antreibt. Große Entwicklungen wie das gesunkene Wirtschaftswachstum und der relative Anstieg der Vermögen können langfristig massive Auswirkungen haben. Aber sie passieren nicht in einem Vakuum, und soziale wie ökonomische Ungleichheiten werden durch eine Vielzahl von Institutionen und politischen Entscheidungen befördert oder reduziert. Von der Bildungspolitik bis zum intellektuellen Eigentumsrecht, von der Wettbewerbspolitik bis zur Technologieförderung, vom Arbeitsrecht bis zur Struktur des Steuersystems wäre die Politik gut beraten, im Auge zu behalten, wem welche Entscheidungen nützen und was diese Entscheidungen zur Entwicklung der Ungleichheit beitragen. (Maximilian Kasy, 13.8.2017)