Tarnhose und ein T-Shirt mit Camouflage-Aufdruck: So zeigt sich Florian vor dem AMS Jugendliche am Wiener Gumpendorfer Gürtel. Eigentlich sollte der 18-Jährige gerade in Kärnten in der HTL Ferlach in der Schule sitzen und vielleicht mit der CNC-Maschine vertraut gemacht werden. Motiviert hat er im Herbst 2016 die Fachschule zum Büchsenmacher begonnen. Ein "Typ, der Waffen schmiedet", einer, der all das dafür benötigte Handwerk beherrscht, wollte er in der vier Jahre dauernden Ausbildung werden.

DER STANDARD

Als er dann zur Weihnachtszeit erfahren hat, dass das SOS-Kinderdorf, unter dessen Obhut er stand, ab dem 18. Geburtstag die Kosten für die Ausbildung nicht mehr übernehmen wird, ist er einfach nicht mehr gekommen. Damals hat er seine Schulkollegen und die Lehrer zum letzten Mal gesehen.

"Vorbildliche Ausbildungsstätte"

Dabei hätte er mit einem Schulabschluss eine glänzende berufliche Zukunft vor sich. "Wenn man einen Abschluss in Ferlach gemacht hat, ist man begehrt und angesagt bei den Arbeitgebern", sagt Florian. Sogar Bundeskanzler Christian Kern hatte der Schule Anfang des Jahres einen Besuch abgestattet. Damals lobte er die HTL als eine "vorbildliche Ausbildungsstätte", von denen man in Österreich mehr benötige. "Den jungen Menschen, die hier absolvieren, denen steht die Zukunft wirklich offen", sagte Kern damals in die Kamera des lokalen Fernsehsenders.

Eine erfolgreiche berufliche Zukunft hat Florian noch nicht ganz abgeschrieben. Er will einen Job im Metallbaubereich finden und sich später die Ausbildung selbst finanzieren. Mindestens 1.400 Euro würde er benötigen, damit könnte er die Kosten für das Internat in Kärnten, die Wohnung in Wien und das Zugticket für die Heimreisen bezahlen.

Mit 13 Jahren ist Florian in das SOS-Kinderdorf gekommen. Über die Gründe dafür spricht er nicht. Sein gepflegtes Hochdeutsch lässt darauf schließen, dass er aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammt. Und tatsächlich: Sein Vater ist Arzt und könnte die Ausbildung locker finanzieren. Eine Unterhaltsklage schließt Florian aber aus. "Der nimmt sich einen Staranwalt, und da habe ich keine Chance." Derzeit lebt er von 920 Euro vom Sozialamt.

Das Wiener AMS am Gumpendorfer Gürtel, das sich auf Jugendliche spezialisiert hat, ist derzeit auf der Suche nach einem neuen Standort. Erst Ende 2009 übersiedelte die Beratungsstelle für arbeitslose Jugendliche vom siebenten in den sechsten Wiener Gemeindebezirk.
Foto: maria von usslar

Beim Arbeitsmarktservice habe man ihm gesagt, beim AMS könne man für ihn in dieser Sache leider nichts tun. "Das AMS sagt zu mir: Lass dich einmal im Monat hier blicken, der Rest ist uns egal", sagt Florian.

Unterstützungsangebote enden mit 18

Peter Dominkovits, Abteilungsleiter beim AMS Jugendliche, kennt die Problematik. "Wir haben verschiedene Richtlinien, gemäß denen wir fördern können. Mit 18 hören viele Unterstützungsangebote auf, auch in den Wohngemeinschaften. Ein 18-Jähriger ist zwar erwachsen auf dem Papier, braucht aber weiterhin noch viel Unterstützung." Dominkovits' Aufgabe ist es, die Jugendlichen in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Und dabei gibt es viel zu tun: Ende Juni 2017 waren österreichweit 61.366 Jugendliche im Alter von 15 bis 24 Jahren beim Arbeitsmarktservice arbeitslos gemeldet oder befanden sich in einer Schulung. Ein Lichtblick: Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen um 5.081 gesunken. 4.700 Jugendliche suchen derzeit eine Lehrstelle. Beim AMS Jugendliche in der Gumpendorfer Straße waren im Jahr 2016 30.444 "Kunden" gemeldet, davon waren 11.788 Frauen.

Abgebrochene Ausbildungen bereiten dem Experten für Jugendarbeitslosigkeit große Sorgen. Im Gespräch mit dem STANDARD beschwört Dominkovits, wie wichtig es ist, eine Ausbildung abzuschließen: "Zu einer Lehrabschlussprüfung kann man antreten, so oft man möchte."

Was die Ausbildung zählt

"Aber es wird irgendwann einfach nur mehr langweilig."

"Wichtig ist, dass man dranbleibt, auch wenn es nicht immer leicht ist. Eine Ausbildung zu machen ist ganz wesentlich. Von 100 Personen, die maximal einen Pflichtschulabschluss gemacht haben, sind in Wien derzeit 40 arbeitslos, mit Lehrabschluss sind das zwischen zwölf und 13 Personen", sagt Dominkovits. Derzeit gebe es noch Jobs, die man ohne Ausbildung ergattern könne. Allerdings seien diese eher rar. Die Verdienstmöglichkeiten seien wesentlich geringer.

Dass Ausbildung bei Jugendlichen so wie in Florians Fall an den finanziellen Mitteln scheitert, ist in Österreich kein Einzelfall. Das weiß Dominkovits zu berichten. Immer wieder sei er mit Jugendlichen konfrontiert, die ihre Lehre oder auch die Schule abbrechen müssen, weil sie zum Familieneinkommen beitragen müssen. "Man muss die Familien unterstützen, damit die Jugendlichen eine Ausbildung machen und später vielleicht einmal mehr verdienen können", fordert er.

Florian und Viktoria vor dem Jugend-AMS am Gumpendorfer Gürtel in Wien.
Foto: maria von usslar

Dass das AMS in Florians Fall nichts tun kann, bedauert er. "Natürlich ist das nicht okay. Natürlich müsste es eine Möglichkeit geben, dass er zu einer Ausbildung kommt". Beim AMS gebe es verschiedene Richtlinien, gemäß denen Jugendliche gefördert werden können. Florian gehört eben nicht dazu.

Beim SOS-Kinderdorf ist man sich des Problems übrigens schon seit langem bewusst. Die Einrichtung fordert daher von der Politik, jungen Erwachsenen bis zum 21. Lebensjahr bundesweit einheitlich Unterstützung zukommen zu lassen. Bereits im Jahr 2008 seien entsprechende Maßnahmen von der damaligen Bundesregierung geplant gewesen. An den Finanzen scheiterte schließlich die Umsetzung.

Langweilige Arbeitslosigkeit

Viktoria ist 17. Sie hat eine Lehre zur Fachverkäuferin in einer Bäckerei abgebrochen. "Wegen blöden Verhältnissen", wie sie dem STANDARD erzählt. Eigentlich wäre sie ein klassischer Fall, dem sich die Berater beim AMS Jugendliche annehmen könnten. Sie will aber keine neue Lehrstelle mehr suchen und ist auch nicht beim AMS registriert. Viktoria strebt einen Job als Aushilfskraft in einer Bäckerei an. Zu oft habe sie schon Absagen bekommen.

Viktoria glaubt nicht mehr daran, dass sie – die "viel zu alte" Lehrlingsabbrecherin – irgendwo noch eine zweite Chance bekommen würde. Ein Freund der Familie soll jetzt bei der Suche helfen. Seit eineinhalb Jahren ist Viktoria nun ohne Job und ohne Schule: "Am Anfang war es ja vielleicht noch lustig, man hatte keine Verpflichtungen, aber es wird irgendwann einfach nur mehr langweilig."

Ende Mai 2017 waren beim Arbeitsmarktservice 546 Jugendliche bis 19 Jahre ohne Pflichtschulabschluss als arbeitslos vorgemerkt. Ohne Pflichtschulabschluss gibt es so gut wie keine Möglichkeit, eine Lehre zu beginnen. Wie wichtig die formale Bildung sei, wiederholt Dominkovits in vielen Beratungsgesprächen. Das AMS vermittelt daher Kurse, in denen der Abschluss nachgeholt werden kann. Im dafür geschaffenen Jugendbildungszentrum (Jubiz) der Volkshochschule können die Jugendlichen in der Regel in zehn Monaten ihren Abschluss nachholen. Das Angebot richtet sich auch an junge Geflüchtete, die bereits auf B1-Niveau Deutsch sprechen können.

Ohne Schulabschluss keine Lehre

"Eure Aufgabe ist es, alle Verben zu unterstreichen." Lehrerin Stephanie Mihelic vermischt die Texte der Schüler und teilt sie wieder aus. "In Somali gibt’s so etwas nicht, da gibt es nicht einmal Artikel", prahlt ein Jugendlicher in der Mitte des Klassenraums und nimmt einen Schluck aus seiner Eistee-Flasche.

Seine Sitznachbarn sind noch mit den Handys beschäftigt, einer sucht sich gerade Sneakers in einem Onlineshop aus. Dennoch sei das Engagement groß, sagt Mihelic: Die Schüler sind freiwillig nachmittags in die Volkshochschule Ottakring gekommen, um die zwei offenen Lerngruppen für Deutsch und Mathematik zu nutzen. Das soll sie ihrem Ziel, in zehn Monaten den Pflichtschulabschluss nachzuholen, näherbringen.

In der VHS Ottakring holen Jugendliche ihren Schulabschluss nach, damit ihre Chancen höher sind, einen Job zu finden. Ohne Abschluss ist es fast unmöglich, einen Lehrstellenplatz zu bekommen.
DER STANDARD

Der ausgeteilte Text beschreibt ein Bild, auf dem Kinder in einer Erzmine arbeiten, also Kinderarbeit. Alle im Raum bis auf zwei Schüler haben eine andere Muttersprache als Deutsch, und nicht wenige sind aus einem Land geflohen, in dem Kinder arbeiten müssen. Die Lehrerin versucht möglichst Unterrichtsinhalt und Lebensalltag zu verknüpfen.

Auch so erfährt sie, welche Arbeiten die Jugendlichen in der Vergangenheit schon verrichten mussten. Das seien Kompetenzen, die beispielsweise fehlende Schulzeugnisse bei der Jobsuche kompensieren könnten.

In Saal 9, einen Stock tiefer, werden gerade Deka in Kilogramm und Gramm umgerechnet. Die Lehrerin erklärt: "Man muss ja nur die Nullen verrücken."

Hilfe zur Selbsthilfe

Zurück zum AMS Jugendliche. Im Keller des Hauses ist ein Beratungszentrum eingerichtet. Hier stehen Computerarbeitsplätze sowie Infomaterialien zur Verfügung, die aktuellen Stellenausschreibungen und freien Lehrstellen können gesichtet werden. Beraterin Renate Doning unterstützt gerade einen 15-Jährigen beim Verfassen einer Bewerbung. Hilfe zur Selbsthilfe ist hier das Motto. Doning erklärt nicht nur, wie der ideale Lebenslauf auszusehen hat. Sie macht den jungen Leuten auch Mut, falls es nicht sofort klappen sollte. "Wichtig ist, dass man mehrere Bewerbungen wegschickt. Wenn sich die Firmen nicht rühren, sollte man eine Mail nachschicken".

Beratung und Infrastruktur: Beim AMS Jugendliche können Bewerbungen direkt verschickt werden. 30.444 "Kunden" waren im Jahr 2016 dort vermerkt.
Foto: maria von usslar

Ihr heutiger "Schützling" ist in Begleitung seines größeren Bruders gekommen. Auch dieser sucht eine Lehrstelle. Das Gymnasium muss er abbrechen, weil seine Deutschkenntnisse nicht ausreichen, wie er dem STANDARD erzählt.

Lichtblick

Edanur hingegen hat es geschafft. Die 20-Jährige hat die Lehre zur pharmazeutisch-kaufmännischen Assistentin abgeschlossen. Als der STANDARD das AMS Jugendliche besuchte, verfasste sie gerade Bewerbungen. Einen guten Monat war sie auf der Suche nach einem Arbeitsplatz. Bald hatte es geklappt – und sie ließ den STANDARD wissen: Tolle Apotheke, netter Chef. "Wer sucht und wirklich will, findet was." (Katrin Burgstaller und Maria von Usslar, Grafiken: Sebastian Kienzl, 24.8.2017)