Wer manchmal Gegenstände wie Schlüssel oder Handy verlegt, braucht sich nicht zu sorgen. "Wenn das aber ständig passiert, kann das ein Hinweis auf Alzheimer oder Demenz sein", sagt Reinhold Schmidt von der Medizinischen Universität Graz.

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Im Leben gilt es ständig, Hürden zu meistern. Das fordert das Hirn. Wer bemerkt, dass er plötzlich vieles vergisst, sollte sich Unterstützung holen.

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Das Leben besteht aus Wiederholung. Und nach einem langen gemeinsamen Leben an der Seite eines Partners kommt es schon hin und wieder vor, dass sich die Gespräche gleichen. Wer kann schon jeden Tag mit neuen Ideen und Gedanken aufwarten. Doch es gibt Wiederholungen, die sind nicht einfach einem langen Zusammenleben geschuldet.

Wenn der Partner etwa schon zum dritten Mal an diesem Tag den Vorschlag unterbreitet, man solle doch am Abend alte Freunde besuchen, und jedes Mal die Idee präsentiert, als wäre sie ihm gerade erst eingefallen. Solche Szenen aus dem Alltag einer Ehe können vielmehr bedeuten, dass die beiden in eine ganz neue Phase eintreten, in der fortan die ewig gleichen Sätze, Fragen und Antworten ihr Leben bestimmen. Eine Lebensphase, in der eine Demenz dem einen die Erinnerung raubt und den anderen oft hilflos zurücklässt.

"Was die Angehörigen stutzig werden lassen sollte, ist, wenn die betroffenen Personen immer wieder die gleichen Fragen stellen", sagt der Neurologe Reinhold Schmidt von der Medizinischen Universität Graz. "Oder sie besprechen mit ihrem Ehepartner genau dasselbe, was sie ihm schon eine Stunde zuvor bereits erzählt haben." Auch wenn Menschen sich auf bekannten Wegen, zum Beispiel in der eigenen Wohnumgebung, nicht mehr zurechtfinden oder sehr häufig persönliche Dinge verlegen, kann das ein Warnzeichen sein.

Fließende Übergänge

Natürlich können gerade Menschen im mittleren Alter, die beruflich stark eingespannt sind, auch einfach Gegenstände wie Schlüssel oder Handy verlegen, weil sie mit ihren Gedanken ganz woanders sind. "Wenn das aber ständig passiert, kann das ein Hinweis sein", so Schmidt.

Eine Abgrenzung, was noch normale Gedächtnisprobleme sind und was darüber hinausgeht, fällt gerade den Betroffenen und ihren Angehörigen alles andere als leicht. Die Übergänge können trügerisch fließend sein und die Grenzen verschwimmen. So gibt es etwa als eine Vorstufe der Alzheimer-Erkrankung die sogenannte amnestische leichte kognitive Störung. "Bei dieser Vorstufe kommt es zu einer Störung des Gedächtnisses, die über das normale Altern hinausgeht", sagt die Neurologin Elisabeth Stögmann von der Medizinischen Universität Wien.

Typischerweise schwindet das Vermögen des episodischen Gedächtnisses. Obwohl sie es immer wieder hartnäckig versuchen, können sich Patienten die Episoden ihres Lebens, bestimmte Ereignisse oder Gesprächsinhalte einfach nicht mehr merken. Bei etwa 50 Prozent der Patienten geht dieser Zustand in eine Alzheimer-Demenz über. "Wenn hingegen die leichte kognitive Beeinträchtigung durch andere Erkrankungen wie etwa eine Depression hervorgerufen wurde, kann sich dieser Zustand durch eine Behandlung der Ursachen auch wieder verbessern", sagt Stögmann. "Als Ärztin muss ich diese Möglichkeit einer anderen Erkrankung ausschließen."

Verlust der Alltagskompetenz

Entwickelt sich die leichte kognitive Störung aber weiter zu Alzheimer, wächst den Patienten der Alltag zunehmend über den Kopf. Der allmähliche Verlust der Alltagskompetenz sollte Angehörigen zu denken geben und Experten aufhorchen lassen. Dient er ihnen doch als Merkmal, eine leichte kognitive Störung von einer Demenz zu unterscheiden.

"Um eine Demenz zu diagnostizieren, müssen aber noch weitere diagnostische Merkmale vorliegen", betont Elisabeth Stögmann und zählt eine Reihe von Kriterien auf: So müsse sich der derzeitige Zustand des Betroffenen im Vergleich zu seiner vorherigen Verfassung verschlechtert haben. Außerdem müssen sich die Probleme im Gespräch mit dem Betroffenen und dessen Angehörigen bestätigen und in einem Test objektivieren lassen.

"Und es müssen neben den Gedächtnisproblemen auch Probleme in anderen Bereichen des Denkens bestehen, beispielsweise bei der Problemlösung oder der Sprachfunktion." Nicht zuletzt gilt es vonseiten der behandelnden Ärzte auch auszuschließen, dass sich die Beeinträchtigung etwa durch eine psychische Erkrankung wie eine Depression erklären lässt.

Auf und ab

"Demenz und Depression lassen sich oft schwer voneinander abgrenzen", sagt Reinhold Schmidt – zumal beide auch zusammen auftreten könnten, etwa eine Depression die Demenz begleiten könne. Dennoch gibt es Unterschiede. "Depressionen treten oft sehr rasch zutage, und die depressiven Episoden halten oft nur Monate an", erklärt der Neurologe. Die Orientierung ist meist nicht beeinträchtigt.

Auffällig sind die starken Leistungsschwankungen in entsprechenden Tests. "Demenz hingegen entwickelt sich schleichend, die Betroffenen schneiden anhaltend schlecht bei Aufgaben eines bestimmten Schwierigkeitsgrads ab", so Schmidt. Neben den Gedächtnisproblemen und den Orientierungsproblemen zeigen sie oft noch zusätzliche neurologische Auffälligkeiten wie etwa Rechenschwierigkeiten, Probleme bei Handlungsabläufen, Sprachprobleme.

Gerade wenn sich der behandelnde Arzt nicht sicher ist, ob es sich um normales Altern oder eine beginnende Demenz handelt, kann er den Patienten mithilfe ausführlicher neuropsychologischer Tests untersuchen lassen. Sie stellen unterschiedliche Teilbereiche des Denkens wie das Gedächtnis, die Sprache oder die Aufmerksamkeit auf die Probe.

Zusammenspiel von Molekülen

Daneben können verschiedene Biomarker den Verdacht diagnostisch untermauern oder entkräften. Eine mögliche Ursache einer Alzheimer-Demenz ist ein falsch gefaltetes Eiweiß namens Beta-Amyloid. Das Protein sammelt sich im Gehirn außerhalb von Nervenzellen an und verklumpt zu den berühmt-berüchtigten "senilen Plaques".

Die Bildung amyloider Plaques geht jedoch nicht immer auch mit dem Verlust von Gehirnzellen einer. Deshalb werden auch bestimmte Faserbündel aus Tau-Proteinen verdächtigt, für die fatalen Abläufe verantwortlich zu sein. Heutzutage vermuten viele Wissenschafter, dass diese beiden Moleküle erst im Zusammenspiel ihre für Nervenzellen tödliche Wirkung entfalten.

Im Liquor erkennen

Über einen invasiven Eingriff können Ärzte Hinweise auf die Proteine im Liquor ausfindig machen, dem Nervenwasser, das Gehirn und Rückenmark umspült. Weisen die Eiweiße eine bestimmte Konstellation auf, dann sei die Vorhersagekraft, dass es sich bei der Erkrankung um eine Alzheimer-Demenz handelt, mit rund 90 Prozent sehr hoch, sagt Elisabeth Stögmann.

Weniger invasiv, aber teurer ist die bildgebende Untersuchung des abgelagerten Amyloid-Eiweißes mittels Positronenemissionstomografie (PET). Auch diese Untersuchung hat bei Patienten mit einer Alzheimer-Demenz eine hohe Aussagekraft. "Ein auffälliger Amyloid-PET tritt allerdings mit zunehmendem Alter auch bei gesunden Personen auf", warnt Elisabeth Stögmann.

"Er steigt von nahezu null Prozent bei kognitiv gesunden Personen bis zum 60. Lebensjahr auf fast 50 Prozent bei kognitiv gesunden Personen über dem 85. Lebensjahr an." Diese Untersuchung solle daher nicht ohne vorhergehende ausführliche ärztliche Beratung durchgeführt werden.

"Super-Ager"

Was vor einer Demenz schützen kann, zeigen Menschen, die besonders gut altern. So hat man im Blut dieser sogenannten "Super-Ager" (Menschen, die mit über 90 noch kognitiv fit sind, Anm.) einen Antikörper gegen Amyloid gefunden: Er trägt den Namen Aducanumab. Dieser Antikörper bindet offensichtlich an Beta-Amyloid und hindert es daran, sich zu den fatalen Plaques zu verklumpen.

Einen entsprechenden Wirkstoff hat die US-Biotechfirma Biogen entwickelt. In bisherigen Studien hat das Medikament bei Patienten in einem frühen Krankheitsstadium eine gute Wirkung gezeigt. Nicht nur das Beta-Amyloid im Gehirn verringerte sich im Zuge einer Behandlung, auch das Nachlassen der geistigen Fähigkeiten verlor an Geschwindigkeit.

Die bisherigen Untersuchungen mit kleinen Probandenzahlen hatten aber nicht die Wirksamkeit im Fokus. Vielmehr zielten sie vor allem darauf ab, zuerst die richtige Dosierung sowie Nebenwirkungen zu erkennen. 2016 ist eine internationale Phase-3-Studie gestartet, die nun die Wirksamkeit genauer unter die Lupe nimmt. Die Ergebnisse werden noch einige Jahre auf sich warten lassen. Elisabeth Stögmann, die mit der Med-Uni Wien ebenfalls an der Studie beteiligt ist, gibt sich jedenfalls optimistisch. Derzeit sei Aducanumab der vielversprechendste Antikörper gegen Beta-Amyloid. (Christian Wolf, 27.12.2017)