Kim Jong-un mit Offizieren. Rechts eine Satellitenaufnahme der US-Militärbasis auf Guam.

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Pjöngjang/Washington – Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un hat seine Pläne für einen Angriff auf die US-Pazifikinsel Guam vorerst zurückgestellt. Nach Gesprächen mit seinen Generälen kündigte Kim an, das Verhalten der USA "ein wenig länger" beobachten zu wollen, wie es am Dienstag in einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA hieß. Er drohte aber damit, es sich auch wieder anders überlegen zu können.

"Die Vereinigten Staaten sollten als Erstes die richtige Entscheidung treffen und durch ihr Handeln beweisen, dass sie die Spannungen entschärfen und einen gefährlichen militärischen Konflikt auf der Koreanischen Halbinsel verhindern wollen", sagte Kim laut KCNA. Sollten die USA jedoch ihre "extrem gefährlichen und rücksichtslosen Handlungen auf der Koreanischen Halbinsel" fortführen, werde er umgehend eine "wichtige" Entscheidung treffen.

Unter Experten wurden Kims Aussagen als Versuch gedeutet, die angespannte Sicherheitslage auf der Koreanischen Halbinsel zu entschärfen. "Kim Jong-un deeskaliert, Nordkorea sucht nach einer Beziehung", kommentierte John Delury, Historiker und Nordkorea-Experte an der Yonsei-Universität in Seoul, über den Kurznachrichtendienst Twitter.

Nachbarn für Gespräche

China und Russland drängen auf Friedensgespräche zur Beilegung des Konflikts. Aus dem chinesischen Außenministerium hieß es am Dienstag, alle Beteiligten sollten jetzt dazu beitragen, den Brand zu löschen, statt noch mehr Öl ins Feuer zu gießen.

Das russische Außenministerium teilte nach einem Telefongespräch zwischen den Außenministern Sergej Lawrow und Wang Yi mit, es sei dabei um Möglichkeiten gegangen, "aus der Konfrontationsspirale auf der Koreanischen Halbinsel herauszukommen".

Mattis warnt

Zuvor hatte US-Verteidigungsminister James Mattis Nordkorea erneut davor gewarnt, die USA anzugreifen. Die USA würden jeden Flugkörper abfangen, der in Richtung US-Boden unterwegs sei, sagte Mattis am Montag in Washington zu US-Journalisten. "Wenn sie auf die USA schießen, dann kann das sehr schnell zum Krieg führen."

Sollte ein Flugkörper US-Territorium, etwa auf der Pazifikinsel Guam, treffen, dann hieße das "Game on", wie der Exgeneral sagte, was in etwa so viel bedeutet wie: "Dann geht's los." Sollte Nordkorea – wie in Aussicht gestellt – mit Raketen auch nur in die Gewässer vor Guam schießen, dann müsse Präsident Donald Trump entscheiden, wie zu reagieren sei, sagte Mattis.

Trump und Abe telefonieren

In einem Telefonat vereinbarten US-Präsident Donald Trump und der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe am Dienstag eine enge Kooperation, um nordkoreanische Raketenangriffe auf Guam zu verhindern. Abe erklärte, höchste Priorität habe es, einen Raketenstart Nordkoreas zu verhindern. Darin sei er sich mit Trump einig gewesen.

Südkoreas Präsident Moon Jae-in sagte bei einer Zeremonie anlässlich des 72. Jahrestages der Befreiung von Japan in Seoul, sein Land wolle einen Krieg "um jeden Preis verhindern": "Wir müssen die nordkoreanische Atomfrage friedlich lösen, egal, wie viele Höhen und Tiefen es gibt."

Einen US-Militärschlag gegen den Norden werde es ohne die Zustimmung seines Landes nicht geben. "Militärische Handlungen auf der Koreanischen Halbinsel können nur von der Republik Korea entschieden werden." Republik Korea ist der offizielle Name von Südkorea. Moon forderte Nordkorea zugleich auf, seine Provokationen einzustellen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Der nordkoreanische Machthaber forderte von den USA ein sofortiges Ende der "arroganten Provokationen" und "einseitigen Forderungen", wie KCNA schrieb. Um einen Krieg zu verhindern, sollten die Amerikaner als ersten Schritt eine "ordentliche Option" unterbreiten und darauf Taten folgen lassen, sagte Kim. Schließlich hätten die USA ein gewaltiges nukleares Arsenal rund um Korea aufgestellt.

Diplomatische Bemühungen

In der Krise wollen auch die EU-Staaten ihre diplomatischen Bemühungen für eine friedliche Beilegung verstärken. Wie die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Montagabend nach einem Sondertreffen der für Sicherheitsfragen zuständigen EU-Botschafter mitteilte, soll dazu verstärkt die Diskussion mit den Teilnehmern der 2009 abgebrochenen Sechs-Parteien-Gespräche gesucht werden. Diese waren 2003 ins Leben gerufen worden, um das Atomprogramm zu beenden. Dazu gehören Nord- als auch Südkorea, die USA, China, Russland und Japan.

"Es dürfen keinerlei diplomatische Bemühungen gescheut werden, um zu verhindern, dass es eine weitere Eskalation gibt", sagte Mogherini. Der Führung Nordkoreas drohte Mogherini hingegen weitere Sanktionen an. Bei einer beschleunigten Fortführung des Atomprogramms werde die EU weitere angemessene Maßnahmen und Antworten in Erwägung ziehen.

US-Geheimdienst: Raketentriebwerke-Herstellung möglich

Nordkorea kann nach Einschätzung des US-Geheimdienstes vermutlich aus eigener Kraft Raketentriebwerke herstellen. "Wir haben Erkenntnisse, die nahelegen, dass Nordkorea nicht auf den Import von Triebwerken angewiesen ist", sagte ein Vertreter des US-Geheimdienstes am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Details nannte er nicht.

Der Insider widersprach damit einer neuen Studie des in London ansässigen Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS), wonach die Triebwerke für Atomraketen, die Nordkorea entwickle, vermutlich aus der Ukraine oder Russland stammen. Nordkorea habe die Triebwerke möglicherweise über den Schwarzmarkt beschafft, heißt es in der IISS-Studie, aus der am Montag die "New York Times" zitierte. Die Ukraine hat bestritten, jemals Rüstungstechnologie nach Nordkorea geliefert zu haben.

Ein zweiter Vertreter des US-Geheimdienstes sagte, möglicherweise seien ausländische Experten oder nordkoreanische Forscher, die zum Beispiel in Russland ausgebildet worden seien, an der Entwicklung der Triebwerke beteiligt. (APA, Reuters, 15.8.2017)