Geesthacht/Wien – Von jeher ist Burkard Baschek vom Meer fasziniert. Die Energie der Wassermassen. Die Brandung. Ebbe und Flut. Besonders ein Meeresphänomen hat es dem Institutsleiter am Helmholtz-Zentrum für Material- und Küstenforschung in Geesthacht, Schleswig-Holstein, angetan: kleine Ozeanwirbel. Diese Verwirbelungen, die zwischen hundert Metern und zehn Kilometern groß sind und innerhalb von 24 Stunden zerfallen, wurden bisher kaum erforscht. Dabei haben sie erheblichen Einfluss auf die Mikroalgenproduktion – und stehen damit am Beginn der Nahrungskette der Weltmeere.

Wie die Zahnräder eines Uhrwerks treiben die Miniwirbel ozeanografische Prozesse an: Indem sie das Wasser vermischen, verändern sie den Lebensraum der Organismen des Ozeans. Ob und wie sie Wetter und Klima beeinflussen, ist noch unklar. Die Vermessung dieser Meereswirbel, die als eines der größten Rätsel der Ozeanografie gelten, bedarf spezieller Messtechnik, die parallel zur Forschung entwickelt werden muss.

Geeignetes Vehikel

Die Herausforderung bei der Jagd nach den Wirbeln beginnt schon einmal bei der Wahl eines geeigneten Vehikels: Mit Schiffen können zwar Schnitte durch die Wirbel gemessen werden, doch vom Schiff aus lässt sich nicht eruieren, wo sich gerade derartige Phänomene befinden.

Bisher setzten Forscher daher Flugzeuge und Hubschrauber ein. Beide haben aber den Nachteil, dass sie sich nur kurz über den Wirbeln aufhalten können. Zudem legen sie den Forschern eine weitere, unerfreuliche Beschränkung auf: das zulässige Gewicht an technischem Equipment.

Unbefriedigt von den Transportmitteln, die der Meeresforschung zur Verfügung stehen, kam Baschek eines Tages auf Idee, ein ganz anderes Vehikel einzusetzen: einen Zeppelin. Das zigarrenförmige Luftschiff kam so zum ersten Mal in der Ozeanografie zum Einsatz und damit in einem völlig anderen Bereich als seine bisherigen Anwendungsfelder, die vor allem im Militär, Flugverkehr und Tourismus liegen.

Physik der Zeppeline

Ein Blick aus der Vogelperspektive, jedoch viel näher am Boden als in einem Flugzeug, "Parken" in der Luft an jeder beliebigen Stelle, geöffnete Fenster während des Flugs: Die ungewöhnliche Mischung aus Schiff und Flugzeug, die den Zeppelin so ideal für Bascheks Forschung macht, ist es auch, was sein außergewöhnliches Fluggefühl an Bord ausmacht. Am Rande der Nobelpreisträgertagung in Lindau am Bodensee, die unter anderem vom österreichischen Wissenschaftsministerium gefördert wurde, lud Baschek kürzlich Nobelpreisträger und Jungwissenschafter zu einem Zeppelinflug, um dabei über seine Forschung und die Physik der Zeppeline zu berichten.

75 Meter lang ist der Zeppelin, den Ozeanografen für die Vermessung von Meereswirbeln eingesetzt haben.
Foto: Helmholtz-Zentrum Geesthacht/ Torsten Fischer

Nach einer kurzen Startphase, die man wie im Flugzeug angeschnallt in den Sitzen verbringt, dürfen die Passagiere aufstehen und sich frei in der Kabine des Zeppelins bewegen. Bei den geöffneten Fenstern muss man achtgeben, die Kamera nicht zu verlieren, wenn man aus dem Fenster gestreckt ein Foto macht. Das Cockpit ist kein abgetrennter Bereich, und so können die Passagiere dem Piloten ganz buchstäblich über die Schulter blicken. Ein Ecksofa am Heck mit Panoramablick lädt zum Verweilen ein.

Während man vom Anblick des Bodensees, der mit rund 70 km/h unter der Passagierkabine vorbeizieht, bezaubert ist, rückt die Katastrophe, mit der Zeppeline einst beinahe von der Bildfläche der Luftfahrt verschwunden wären, in den Hintergrund: Als die Wasserstofffüllung der 240 Meter langen Hindenburg im Mai 1937 Feuer fing, kamen 36 Menschen ums Leben. Damit endete die Blütezeit der Zeppeline in der Passagierluftfahrt, zuvor hatten sie im Ersten Weltkrieg als Kriegsluftschiffe ihren ersten Aufschwung erlebt.

Neue Ära der Zeppeline

Erst knapp vor der Jahrtausendwende wurde eine neue Zeppelin-Ära eingeleitet: 1997 stieg der erste Zeppelin NT in die Höhe. NT steht für "neue Technologie". Im Gegensatz zur Hindenburg sind die neuen Zeppeline nicht mehr mit Wasserstoff, sondern mit Helium gefüllt, zudem befinden sich die Passagiere nicht mehr im Auftriebskörper, sondern in einer kleinen Kabine darunter. Weltweit gibt es derzeit vier Zeppeline NT – zwei davon sind in Friedrichshafen stationiert, zwei in den USA in Akron, Ohio, und Pompano Beach, Florida. Um 350 Euro ist das Ticket für einen 45-minütigen Flug in Friedrichshafen erhältlich.

Burkard Baschek an Bord eines Zeppelin NT bei der Expedition Uhrwerk Ozean.
Foto: Helmholtz-Zentrum Geesthacht/ Torsten Fischer

Bei den meisten zigarrenförmigen Luftschiffen, die am Himmel zu sehen sind, handelt es sich um sogenannte Prallluftschiffe, die ob ihrer einfacheren Konstruktion und folglich günstigeren Herstellung viel häufiger sind als Zeppeline. Prallluftschiffe haben keine innere Struktur und erhalten ihre Form lediglich durch den Gasüberdruck. So ist bei einem Hüllendruckabfall eine kontrollierte Landung nicht mehr möglich – ganz im Gegensatz zum Zeppelin.

Im Zentrum des Wirbels

Die innere Struktur bietet nicht nur mehr Sicherheit, sondern ermöglicht auch, wissenschaftliche Ausrüstung zu montieren. Im Juni 2016 schickten Forscher um Baschek bei der Expedition "Uhrwerk Ozean" zwölf Tage lang einen Zeppelin NT vollbepackt mit Technik über die Ostsee, um nach kleinen Meereswirbeln zu jagen. Eine Thermalkamera registriert Temperaturunterschiede von 0,03 Grad Celsius an der Wasseroberfläche und das Farbspektrum des Wassers. Die so gewonnenen Daten sind eine Million Mal genauer als die von Satelliten.

Ein Film des Helmholtz-Zentrums Geesthacht beleuchtet die Hintergründe des Forschungsprojekts Uhrwerk Ozean.
HZGde

Die Bilder der Temperaturverteilung sind per Monitor an Bord des Zeppelins zu sehen. Parallel verlaufende Linien kommen durch den Wind zustande, kreisförmige Linien sind das, was die Forscher suchen: die Minimeereswirbel. Ist einer aufgespürt, parkt der Zeppelinpilot darüber, während die Forscher in Ruhe weitere Daten sammeln. Zudem geben sie Kollegen auf Forschungsschiffen Bescheid, die, mit Instrumenten wie unbemannten Tauchrobotern und automatischen Messboxen ausgestattet, Schnitte durch die Meereswirbel fahren und so auch Daten von unterhalb der Wasseroberfläche aufnehmen können. Insgesamt sind 40 Ozeanografen an der 500.000-Euro-Expedition beteiligt.

Zum aktuellen Stand des Projekts sagte Jochen Horstmann, einer der beteiligten Physiker, dem STANDARD, dass die Qualitätsprüfung der Daten nun weitgehend abgeschlossen ist. Fazit: "Fast alle Daten der Hauptgeräte sind qualitativ nutzbar." Für die Forscher ist das ein erstes wichtiges Ergebnis, zeigt es doch, dass die Messungen, die in dieser Form noch nie durchgeführt worden waren, funktioniert haben. In den nächsten Monaten werden die Daten ausgewertet, doch zunächst gilt es zu entscheiden, welche der unzähligen Terabyte zuerst analysiert werden. Neue Einblicke, wie der Ozean tickt, sollen erste Veröffentlichungen zu Beginn des nächsten Jahres bieten. (Tanja Traxler, 16.8.2017)