Dass Peter Sellars, mit Preisen für seine "bahnbrechend innovative" Regiearbeit überhäuft, sich öffentlich wie ein drolliger Kaspar gebärdet, mag amüsant empfunden werden. Die sentimentale Interpretation der seriösen Oper "La Clemenza di Tito" hätte man ihm nicht überlassen sollen. Sie ist zu ärgerlich.

Die Salzburger Festspiele treten mit dem Anspruch auf, das ethische Bewusstsein eines breiten Publikums durch große Kunst zu bilden und inspirieren. Mit dieser sinnstörenden Inszenierung pflegen sie jedoch eine religiöse Romantik, die die säkularen Defizite unserer Zeit leugnet: Jeder der aktuell gefährlichen Machthaber, wie Trump, Putin, Erdogan oder Orbán, beruft sich wieder auf eine religiöse Ideologie.

Private Verstrickungen

Pietro Metastasios Tito-Libretto geht unmissverständlich von privaten Verstrickungen aus. Seine Affirmation der Güte des Verzeihens richtet sich an durch Zurückweisung verletzte Liebende.

Das Thema hat nichts mit religiösem Eifer, nichts mit Sendungsbewusstsein, Unterwerfung, nichts mit dem islamistischen Terror zu tun.

Was aber macht diese vielgelobte Aufführung daraus? Durch Kostüme und Gebärden differenziert, zwingt Peter Sellars das Volk in eine alles verbindende religiöse Verzückung. Mit dem Hymnus aus Mozarts C-Moll-Messe verschmilzt es zur fromm-harmonischen Gemeinschaft.

Sextus – Sellars' "Terrorist" – plagen schwere Gewissensnöte und sein Sprengstoffgürtel. Nach dem mörderischen Anschlag auf den gütigen Herrscher ist er zutiefst verzweifelt über seine verwerfliche Tat. Titus verzeiht allen, "die aus Liebe Unrecht taten".

Pathetisch überladen und verkitscht

Metastasios Botschaft und Mozarts Musik werden auf diese Weise ad absurdum geführt. Die sakralen Hinzufügungen verfremden sein vollkommenes Werk; es wirkt pathetisch überladen und verkitscht. Die gesellschaftlich-soziale Wirklichkeit, der sich die Kunst angeblich verpflichtet fühlt, sieht nämlich anders aus: Terroristen morden, wie sie uns vor Augen führen, nicht "aus Liebe", sondern aus religiösem Fanatismus. Sie zeigen weder Reue noch Einsicht. Sie führen einen selbstgerechten Glaubenskrieg.

Kopftuchträgerinnen leben nicht in harmonischem Einklang mit ihren ungläubigen Schwestern. Sie kümmern sich kaum um die liberalen Ziele weiblicher Emanzipation. Ihrem Gastland verweigern sie den erwünschten Respekt. Denn die öffentliche Zurschaustellung ihrer rigiden religiösen Bindung wird von vielen aufgeklärten Menschen doch eher abweisend bis provokant empfunden.

Missverständliche Botschaft

Mozarts Werk aus einer anderen Epoche mit den aktuellen politischen Ereignissen und einer bigotten Schwärmerei zu verknüpfen ist eine missverständliche Botschaft in alle Welt. Mit dieser peinlichen, in ihrer musikalischen Qualität jedoch so berührenden Inszenierung, fördern die Salzburger Festspiele die "Schwarmdummheit", vor der Ferdinand von Schirach in seiner klugen Eröffnungsrede eindringlich warnte. (Waltraud Prothmann, 16.8.2017)