Ramallah – Festnahmen von Kritikern der Regierung gab es schon früher. Doch seit Juni geht der palästinensische Präsident Abbas verschärft gegen Medien politischer Gegner vor. Menschenrechtler sprechen von einem Angriff auf die Meinungsfreiheit aller Palästinenser.

Mamdou Hamamre besuchte seine Eltern in einem Dorf bei Bethlehem, als ihn palästinensische Polizisten auf der Straße verhafteten. "Niemand hat mich irgendetwas gefragt", erzählt der 33-jährige Journalist im Büro des Journalistenverbandes in Ramallah. Einen Tag später hörte er vor Gericht, er habe gegen das neue Gesetz gegen Internetkriminalität verstoßen. "Ich hatte überhaupt nichts gemacht in den Tagen zuvor", sagt der Mitarbeiter des Fernsehsenders Al-Quds. Er werde weiter als Journalist arbeiten, aber er habe Angst. "Ich fühle mich nicht mehr sicher." Nach sechs Tagen wurde er entlassen, gemeinsam mit vier anderen Journalisten. Von Behördenseite war zunächst keine Stellungnahme dazu zu bekommen.

Neues Gesetz gegen Internetkriminalität

Menschenrechtler werfen dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas vor, die Meinungsfreiheit zu beschneiden. Omar Nassal vom Palästinensischen Journalistenverband spricht von einer "entsetzlichen Situation".

Grund dafür ist das Gesetz gegen Internetkriminalität, das Abbas ohne vorherige öffentliche Diskussion kürzlich erlassen hat. Dabei geht es unter anderem um das Betreiben von Nachrichtenseiten, die "die Integrität des Palästinensischen Staates gefährden". Kritiker sagen, Abbas wolle damit seine Gegner mundtot machen, weil er politisch unter Druck steht. Generalstaatsanwalt Ahmad Barak hat die Kritik zurückgewiesen.

Festnahme von sieben Journalisten

Vergangene Woche hatten die Sicherheitsbehörden sieben Journalisten im Westjordanland festgenommen. Alle sollen gegen das Gesetz verstoßen haben. Die Journalisten sollen der radikal-islamischen Hamas nahestehen, die mit der Fatah-Partei des Präsidenten konkurriert. Alle kamen mittlerweile frei. Laut Nassal sind in den palästinensischen Gebieten grundsätzlich alle Journalisten politischen Parteien zuzuordnen.

Die Hamas hatte bei den Parlamentswahlen in den palästinensischen Gebieten 2006 die Mehrheit gewonnen. 2007 übernahm sie gewaltsam die alleinige Macht im Gazastreifen. Seither regiert Abbas mit der Fatah faktisch nur noch im Westjordanland. Israel, die EU und die USA stufen die Hamas als Terrororganisation ein. Nach dem Scheitern unzähliger Versöhnungsversuche versucht Abbas, die Hamas seit Monaten finanziell unter Druck zu setzen.

30 Websiten blockiert

Der 82-jährige soll in der Bevölkerung unbeliebt sein. Medien berichten von Versuchen, mit ägyptischer Unterstützung seinen parteiinternen Rivalen Mohammed Dahlan als führenden Vertreter neben der Hamas im Gazastreifen zu installieren.

Im Juni ließ Abbas knapp 30 Internetseiten blockieren. Die meisten davon stünden in Verbindung zur Hamas und zu Dahlan, wie Ammar Dweik, Generaldirektor der Unabhängigen Kommission für Menschenrechte in Ramallah, sagt. Einige sollen auch hinter der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) stehen.

Keine politische Beteiligung

Seit 2006 gab es in den palästinensischen Gebieten keine Parlamentswahlen mehr. Aufgrund der Spaltung zwischen Fatah und Hamas tagt das Parlament nicht mehr. "Für Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen gibt es keinen politischen Prozess, keine politische Beteiligung", sagt Dweik. "Die sozialen Netzwerke sind unser Raum, wo wir politische Parteien kritisieren können und diskutieren. Wir fühlen, dass wir diesen Raum nun Stück für Stück verlieren."

Dabei betreffe das Gesetz nicht nur Medienschaffende, sagt Dweik: "Viele Menschen fühlen sich nicht mehr sicher, offen zu schreiben, was sie denken."

Schwammige Begriffe mit viel Interpretationsspielraum

Die Nichtregierungsorganisation Al-Haq kritisiert an dem Gesetz, dass es schwammige Begriffe enthalte, wie "soziale Harmonie" oder "Staatssicherheit". Damit gebe es den Behörden freie Hand, letztlich jeden zu verhaften. "Wir haben den Eindruck, dass wir in Richtung eines autoritären Regimes gehen", sagt Generaldirektor Shawan Jabarin. Außerdem enthalte das Gesetz harsche Strafen, bis hin zur lebenslangen Gefängnisstrafe.

Nach Angaben der palästinensischen Medienorganisation Mada gab es im ersten Halbjahr 2017 bereits 101 Verletzungen der Pressefreiheit durch palästinensische Behörden, wie Festnahmen oder Befragungen von Journalisten. In den ersten sechs Monaten das Jahres 2016 seien es 65 Fälle gewesen.

Generalstaatsanwalt Ahmad Barak hat das Gesetz im palästinensischen Fernsehen verteidigt. "Das Gesetz ist wichtig, um Menschen (gegen Internetkriminalität) zu beschützen, nicht um ihre Freiheit einzuschränken", sagte er dem Sender Palestine TV. "Pressefreiheit und Meinungsfreiheit sind durch das palästinensische Grundgesetz garantiert, auf dem das Gesetz gegen Internetkriminalität basiert." (APA, 16.8.2017)