US-Dirigent und Tonsetzer Brad Lubman bei der Arbeit: Nur der gewiefte Praktiker versteht etwas von der Erfindung. Dann übertreibt er es auch nicht mit neuen, allzu komplizierten Spieltechniken.


Foto: Stephanie Berger

Wien – Das Werden eines Komponisten, the American Way: 1962 auf Long Island geboren, sah Brad Lubman im zarten Alter von sechs Jahren die Beatles im Fernsehen. Ein Interesse für Pop- und Rockmusik keimte auf. Erst wurde nach einem Buch Gitarre gelernt, später wurden Mamas Kochtöpfe zum Drumset umfunktioniert.

Als er 15 war, stand ein Freund mit einer Schallplattenaufnahme einer Symphonie von Gustav Mahler vor der Tür. Gustav – wer? "Es hat mich umgehauen", erzählt Lubman: "Ich habe alles toll gefunden. Die langsame Einleitung, die Vogelstimmen, die riesigen Höhepunkte ..." Das Interesse für klassische Musik war entflammt.

Das Schlagzeug blieb wichtig, nachhaltiges Interesse für das Dirigieren kam dazu. Plus: Komponieren. Ein Stück für Schlagzeugensemble, in der Highschoolzeit geschrieben, war noch nicht wirklich der Renner. Dennoch: Einige Jahre lang notierte Lubman Werkskizzen für alle möglichen Besetzungen. 1986 schrieb er das erste ernsthafte Stück für die eigene Abschlussprüfung als Drummer.

Das Dirigieren blieb für Lubman aber die Hauptbeschäftigung. Der US-Amerikaner unterrichtet an der Eastman School in New York, er dirigiert das Klangforum Wien, das Ensemble Modern, bringt Orchestern wie dem BR-Symphonieorchester oder dem Concertgebouworchester zeitgenössische Musik näher. Die vielen Gastdirigate bringen es mit sich, dass Lubman viel reist. Etwa 100 Tage im Jahr ist er unterwegs: "Mein Hauptwohnsitz ist seit 20 Jahren der Flieger nach Europa."

Komponiert wird oft zwischendurch, und zwar in den ungewöhnlichsten Situationen. "Manchmal warte ich auf meinen Auftritt mit einem Orchester", erzählt Lubman, "ich habe zehn Minuten Zeit. Im Dirigentenzimmer gibt es meist ein Klavier. Da probiere ich dann Sachen aus, Akkordverbindungen und so." Mit einer Kompositionssoftware werden die Einfälle später festgehalten. "Ich komponiere hauptsächlich am Laptop", erklärt er: "Man kann Dinge gleich ändern."

Lubman hat nie Komposition studiert. "Ich habe mich durch das Dirigieren so viel und intensiv mit zeitgenössischer Musik beschäftigt – das hat mir gereicht." Vielleicht sei er so auch freier geblieben in seiner Entwicklung. Lubman leitet beim Grafenegg-Festival den Kompositionsworkshop Ink Still Wet. Welche Eigenschaften sollte seiner Meinung nach ein Komponist haben?

Der verflixte neue Titel

"Ich glaube, dass es für einen Komponisten primär wichtig ist, Erfahrung als ausübender Musiker zu haben", so Lubman. "Es gibt wenige Komponisten, die nicht auch musiziert haben. Aber die eigene Vorstellungskraft ist natürlich auch wichtig. Man muss in Berührung mit seinem inneren Erleben kommen." Was ist bei ihm zuerst da, wenn er ein neues Stück komponiert? Das könne alles Mögliche sein, meint der Tonsetzer. Die Idee für die Struktur eines Stückes, einzelne Akkorde, die Instrumentierung, sogar die Musik eines Kollegen könne als Impuls dienen. Am schwersten falle ihm eigentlich, am Ende einen Titel für ein neues Stück zu finden.

Für das Grafenegg-Festival hat Lubman zwei Werke geschrieben: eine Fanfare sowie Reflections für großes Orchester. Welche Dinge muss man beachten, wenn man ein Stück für Orchester schreibt? "Natürlich darf man es nicht übertreiben, was neue, komplizierte Spieltechniken anbelangt", erklärt Lubman, "und man muss ein Gefühl für die Gewichtung der Klanggruppen haben."

Seine Werke der letzten Zeit hätten kein durchgehendes Narrativ, sie wären inkongruent, von der surrealen Struktur von Träumen. Der Stil würde sich laufend ändern: Tonalität folge auf Atonalität, es gäbe Referenzen an die Popmusik ... Die Fanfare wäre etwas handfester gestaltet. Wovon man sich in Bälde überzeugen kann: Am 18. 8. ist das Werk beim Eröffnungskonzert in Grafenegg mit dem Tonkünstlerorchester Niederösterreich zu erleben. (Stefan Ender, 16.8.2017)