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Neue Instrumente und Ausdrucksformen für Computermusik zu schaffen ist eines der Ziele des Grazer Instituts für Elektronische Musik und Akustik. Im Bild: ein Konzert des britischen Elektronikmusikduos The Chemical Brothers.

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Das 3D-Lautsprechersystem IKO macht den Raum hörbar.

Foto: sonible GmbH

Graz – Alois Sontacchi sitzt in einem Tonstudio am Institut für Elektronische Musik und Akustik der Kunstuniversität Graz und bewegt sich per Mausklick durch ein Konzert von Al Di Meola. Der Computerbildschirm vor ihm zeigt ein mittels Ambisonic-Technologie produziertes Video eines Konzerts, das der US-amerikanische Jazzgitarrist vor einem Jahr an der Kunstuni Graz spielte. Darunter, im Spureneditor des Programms, ist eine Kugel eingeblendet, die den Klangraum symbolisiert, sowie ein Marker, der den Ort der Klangquelle anzeigt. Sontacchi verschiebt diesen Marker, und man gewinnt den Höreindruck, dass der Musiker erst weiter vorn und weiter hinten, einmal rechts, dann links steht. Sein Standpunkt ist in der bestehenden Aufnahme beliebig positionierbar.

Die Entwicklung immersiver Audioaufnahmeverfahren, die es erlauben, ein Schallfeld dreidimensional wiederzugeben, ist eines der Forschungsgebiete des Instituts und seines Fachbereichs Sound and Music Computing. Der sogenannte Ambisonic-Ansatz sei ebenso für den Bereich der Virtual Reality sehr vielversprechend, sagt Sontacchi, Professor für Akustik und Audiotechnik. Aber auch ganz alltägliche Anwendungen könnte diese Technik verbessern, wie etwa Telefonkonferenzen. Diesen sei oft deshalb schwer zu folgen, weil die Stimmen der Sprecher von einem Punkt aus kämen und man sein Hinhören nicht räumlich orientieren könne, sagt Sontacchi.

Rundum-Lautsprecher

In diesem Forschungsfeld ist das 3D-Lautsprechersystem IKO das Vorzeigeprojekt des Instituts für Elektronische Musik und Akustik. Gemeinsam mit dem österreichischen Audiounternehmen Sonible entwickelten die Audioforscher einen Rundum-Lautsprecher (DER STANDARD berichtete) in Form eines Ikosaeders, dessen Flächen zwanzig gleichseitige Dreiecke bilden. Der IKO nützt die raumbegrenzenden Flächen und die Oberflächen der Objekte im Raum für die Reflexion des Klangs. "So können abhängig von der Hörposition gezielte unterschiedliche Richtungseindrücke erzeugt werden", sagt Sontacchi. Der Raum werde hörbar, es entstehe eine klangliche Skulptur.

Die Forschung rund um Ambisonic ist somit eng mit einer weiteren Mission des Fachbereichs Sound and Music Computing verknüpft: neue Möglichkeiten für den künstlerischen Ausdruck zu schaffen. "Moderne avantgardistische Musik braucht neue Instrumente", sagt Sontacchi. Während früher Instrumentenbauer mit verschiedenen Materialien und Formen experimentierten, kann das heute unter anderem bedeuten, Software für Musiker zu entwickeln. So arbeitet ein ehemaliger Student Sontacchis derzeit an einem Loop-Pedal für E-Gitarre, das nicht allein, wie bisher, eingespielte Tonfragmente wiederholt, sondern diese mit automatisch generiertem Schlagzeug oder Keyboard begleitet.

Das Institut für Elektronische Musik und Akustik gehört zur Kunstuni, befindet sich aber inmitten des Campus der Technischen Universität Graz. Technik und Naturwissenschaften kommen mit künstlerischer Forschung sowie Kulturwissenschaften zusammen. Die tontechnische Expertise treffe hier auf Kunst und ihre in langer Tradition geschulte Sensibilität, sagt Institutsvorstand Robert Höldrich.

Was den Ohren angenehm ist

Ein omnipräsentes Thema ist dabei die Psychoakustik, die das Hörerlebnis untersucht und sich dabei mit Hörgewohnheiten und damit, was dem menschlichen Ohr angenehm ist und was nicht, befasst. Solche Fragen beschäftigen Katharina Vogt, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Elektronische Musik und Akustik, die sich auf Sonifikation spezialisiert hat.

Sonifikation – wörtlich "Verklanglichung" – meint das Übersetzen von Information in Sound und versteht sich als Gegenpol zu Visualisierung. "Wir leben in einer Welt, in der das Visuelle dominiert", sagt Vogt. Wir sprechen aufwertend von "Augenzeugen" und abwertend vom "Hörensagen". Wir trauen unseren Augen mehr als unseren Ohren.

Dabei könne das menschliche Gehör außerordentliche kognitive Leistungen erbringen, etwa was das Erkennen von Mustern in Klängen betrifft. Dies eröffne neue Wege, um Information zu erfassen und anschaulich zu machen, was im Hinblick auf die stetig wachsenden Datenmengen förderlich sei, sagt Vogt. In ihrer Dissertation wendete sie Sonifikationsmodelle auf Daten aus physikalischen Experimenten an, und sie arbeitet an Klangmodellen für die Physiotherapie: Die Bewegungen der Patienten werden erfasst, und verschiedene Klänge geben Feedback über Trainingsabläufe.

Ein soeben abgeschlossenes Forschungsprojekt von Sontacchi widmete sich einem Raum, der sich erst in den vergangenen Jahren für subtileres Sounddesign erschloss: dem inneren sowie äußeren Klangraum des Autos. Elektro- und Hybridfahrzeuge sind leiser als Autos mit herkömmlichen Motoren. Das ist angenehm, bringt aber das Problem mit sich, dass den Lenkern Feedback zu ihrer Fahrweise fehlt und Radfahrer oder Fußgänger Gefahr laufen, nahende Autos zu überhören.

Das Projekt eMobility entwickelte Sounds, die diese Informationen auf intuitive Weise transportieren. Dabei sollen den Benutzern der neuen Fahrzeuge verschiedene Stile und Designs zur Wahl stehen. Wie das Auto klingt, könnte, neben dem Sicherheitsaspekt, eine neue Form des individuellen Ausdrucks werden. (Julia Grillmayr, 18.8.2017)