Oslo/Linz – Für Håkon Stene ist jeder Gegenstand ein Musikinstrument. Vor allem beim Schlagzeug sei der Begriff relativ. "Für Schlagzeuger gilt heute: Anything goes. Man kann nicht nur alle Objekte spielen, sondern durch Sample-Technologie auch die ganze Welt spielen", sagt Stene. Der Musiker und Forscher, der an der Norwegischen Musikhochschule in Oslo arbeitet, initiierte mit Wissenschaftern, Komponisten und Musikern aus Deutschland, Großbritannien, Norwegen und Österreich das künstlerische Forschungsprojekt "Music with the Real". Wissenschaftliche Methoden werden dabei mit künstlerischen Praktiken verbunden.

"Das Projekt untersucht die ästhetischen Möglichkeiten und Herausforderungen, die entstehen, wenn 'Real Life'-Sounds, Videos und Objekte in musikalische Arbeiten integriert werden", sagt Henrik Hellstenius, Professor für Komposition an der Norwegischen Musikhochschule. Dazu erarbeiteten Musiker und Komponisten im Rahmen von Music with the Real fünf Musikstücke, in denen solche Hybridinstrumente zum Einsatz kommen.

Ausgangspunkt der Auseinandersetzung war, dass in den vergangenen zehn Jahren eine zunehmende Müdigkeit in der zeitgenössischen Musik zu beobachten sei, was die "Klangrecherche", also die Suche nach neuen Klängen, betrifft, sagt Hellstenius. "Im Vergleich zu anderen Künsten, etwa Tanz, Visual Arts oder modernes Theater, hat die Musik an Methoden von Kreation und Vermittlung festgehalten, die weniger offen und vielfältig sind."

Popularmusik bis Semiotik

Die fünf entstandenen Musikstücke waren Diskussionsgrundlage für Konferenzen und Workshops, in denen sich Künstler und Wissenschafter aus Bereichen von Popularmusik bis zu Semiotik und Linguistik Forschungsfragen stellten wie: Welchen Status hat solches "musikalisches Material" in der Neuen Musik? Welche Rolle spielt der Musiker im Kontext von elektronisch erzeugten Klängen? Wie können in einem multimedialen Setup kohärente Kunstwerke entstehen, und welche Kompetenzen und Konzepte stehen hinter solchen Kompositionen?

Das "Real" im Projekttitel bezieht sich vor allem auf praktische Herausforderungen, wie Alltagssounds zum musikalischen Ausdrucksmittel werden können. Für Carola Bauckholt, Komponistin und Professorin für Komposition mit Schwerpunkt auf zeitgenössischem Musiktheater an der Anton-Bruckner-Privatuniversität Linz, beinhaltet dies auch die philosophische und politische Frage nach dem Wirklichkeitsbezug von Musik: "Es stellen sich im Moment viele die Frage, wie die Neue Musik stärker in die Gesellschaft eingebunden werden kann."

In diesem Sinne sprach Ursula Brandstätter, Musikwissenschafterin und Rektorin der Anton-Bruckner-Privatuni Linz, im Rahmen einer Konferenz des Projekts von der "doppelten Existenzweise" von Musik: "Das bedeutet, dass Musik einerseits als Wirklichkeit für sich wahrgenommen werden kann, aber auch als System von Zeichen, die auf andere Wirklichkeiten Bezug nehmen." In der zeitgenössischen Musik seien der Musikbegriff selbst und die Unterscheidung zwischen musikalischer und nichtmusikalischer Wirklichkeit immer schwieriger zu definieren.

Carola Bauckholt hat im Rahmen des Projektes das Stück Oh, I See komponiert, in dem zwei große Ballons zu Schlaginstrumenten werden, die auch eine visuelle Rolle im Stück einnehmen, wenn sie mittels Projektion zu rollenden, blinzelnden Augenbällen werden. Oh, I See wird im November beim Festival Wien modern zu sehen und hören sein. Ein weiteres Stück, das im Rahmen von Music with the Real entstand, wird dort präsentiert: Daily Transformations von Clemens Gadenstätter, Komponist und Musiktheorie-Professor an der Kunstuni Graz. Mit der Aufführung der fünf Musikstücke und der Präsentation eines Portfolios wird das künstlerische Forschungsprojekt im Frühjahr 2018 abschließen. (grill, 19.8.2017)