Zu viert gegen die Hand.

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Warnung – während diese Rezension so spoilerfrei wie möglich gehalten ist, kann es sein, das einzelne Aspekte der Geschichte der Vorgängerserien verraten werden. Diese sind allerdings auf ein Minimum beschränkt und geschehen nur zum Verständnis der Geschichte von "The Defenders".

Die Partnerschaft von Disney und Netflix war in der Vergangenheit ein großer Faktor für den Erfolg des Streaming-Anbieters. Dass diese nun enden sollte (wobei die Rolle zukünftiger Marvel-Produktionen noch in der Schwebe ist), war für Netflix bestimmt nicht einfach zu schlucken.

Schließlich konnten fast alle Marvel-Superheldenserien (mit Ausnahme von "Iron Fist"), die für Netflix produziert wurden, blühenden Erfolg unter Kritikern feiern und somit Netflix’ Ruf als Streaming-Anbieter mit sehr hochwertigen Eigenproduktionen solidieren. Neu dazu kommt nun "The Defenders".

Eine Serie, die vieles verspricht. Die alle Marvel-Superhelden, die bisher mit einer eigenen Netflix-Serie beehrt wurden, zusammenkommen lässt. Die eine packende Geschichte voller Drehungen und Wendungen erzählt. Und die gleichzeitig den Charme jeder dieser Charaktere vorführt. Natürlich, ohne dass man "Daredevil", "Jessica Jones", "Luke Cage" oder "Iron Fist" zuvor gesehen haben muss. All das in gerade einmal acht Folgen. Ist es für die Serie überhaupt möglich, all diese Versprechen zu erfüllen?


Vier Helden gegen einen uralten Ninja-Clan

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"The Defenders" setzt die Handlung an der Stelle fort, wo die zweite Staffel von "Daredevil" geendet hat. Feind ist die "Hand", eine mysteriöse Ninja-Organisation, die das ominöse Ziel nach dem Leben verfolgt. Was ihre genauen Pläne sind, ist erst mal ein Geheimnis, nur ihre kryptische Faszination für ein gewisses Wesen namens Black Sky, eine Frau, die Zuschauern der Serie "Daredevil" als Elektra bekannt war, ist ersichtlich.

Junge Männer mit wenig Perspektiven werden für höchstwahrscheinlich kriminelle Zwecke von der Hand angeheuert, was Luke Cage (Mike Colter) in die Affäre involviert. Die Detektivin Jessica Jones (Krysten Ritter) untersucht auf Wunsch der besorgten Ehefrau das Verschwinden eines Mannes und zieht schließlich die Behörden mit hinein. Ein mysteriöses Erdbeben, welches auf unerklärliche Weise mit den Plänen der Organisation in Verbindung steht, veranlasst auch Matt "Daredevil" Murdock (Charlie Cox), sich mit den Feinden zu befassen, und Danny "Iron Fist" Rand (Finn Jones) ist aufgrund des Todes eines Informanten ebenfalls auf Spurensuche.

Handlung für neue Zuschauer verständlich

Auch Superhelden nehmen gelegentlich die U-Bahn.
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Während neue Zuschauer vielleicht zu Beginn verwirrt sein werden, schafft es die Serie, die notwendigsten Informationen kompetent zu transportieren. Man kann der Handlung auch als Neuling folgen. Das liegt vermutlich zu einem nicht geringen Teil daran, wie geheimnisvoll die Hand in den vergangenen Serien war und auch geblieben ist. Dass der Vorhang sich nun endlich hebt und die Organisation und ihre Ziele Schritt für Schritt beleuchtet werden, ist für neue wie alte Zuschauer interessant und auch in gewisser Weise notwendig, nachdem der Ninja-Clan ein zentraler Aspekt sowohl von "Daredevil" wie auch von "Iron Fist" war. Ebenfalls positiv anzumerken ist, dass die Serie trotzdem sparsam mit Dialogen zur Exposition umgeht. Das ist besonders für Fans der älteren Serien angenehm.

In gewisser Weise ist die Beschränkung auf acht Folgen ein Vorteil: Eine der größten Schwächen der vergangenen Serien war, dass gewisse Story-Aspekte sich in die Länge zogen, ohne dass dies notwendig gewesen wäre. Alle vier Helden in weniger Folgen bedeutet, dass wichtige Ereignisse flott erzählt werden müssen, und darauf versteht die Serie sich gut. Die ersten beiden Folgen führen die Charaktere und die Handlung ein, ab dann geht es rasant weiter und die Serie wird wirklich spannend.

Das Gesicht der Hand

Alexandra (Sigourney Weaver), eine Anführerin der Hand.
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Mit Sigourney Weavers Charakter, Alexandra, haben die Bösen endlich ein Gesicht. Und wie es bei dem uralten Ninja-Clan Tradition ist, ist ihre Chefin eine Frau, die von Geheimnissen umwoben ist. Doch gerade der neue Charakter Alexandra ist ein gutes Beispiel für eine der größten Schwächen von "The Defenders". Bei einem ihrer ersten Auftritte spricht sie mit Madame Gao, einer früheren Anführerin eines Drogenrings, die aus älteren Serien bekannt ist. Dort wirkte diese immer berechnend, von oben herab und fast schon spöttisch – wie eine Drahtzieherin.

Doch in der Szene mit Alexandra ist sie das nicht, man könnte sogar eine gewisse Angespanntheit erkennen. Mit diesem Wissen wirkt der neue Charakter plötzlich gefährlicher – und wichtiger. Als neuer Zuschauer sprechen dagegen lediglich zwei zwielichtige Personen miteinander. Ein großes Lob hier trotzdem an Sigourney Weaver, die vor allem in ihren Szenen mit Élodie Yungs Elektra als Unheilbringerin überzeugt.

Zu viele unbekannte Charaktere für Neulinge

Jessica (Krysten Ritter) mit ihrer besten Freundin Trish (Rachael Taylor).
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Aufgrund der vier Serien existiert eine Fülle an Charakteren, die weit über die Besetzung einer gewöhnlichen Serie hinausgeht. Um das handzuhaben, gibt es zwei Möglichkeiten: sich auf einige wenige Charaktere zu konzentrieren und dafür ihre Geschichte fokussierter zu erzählen oder zu versuchen, alle zu integrieren, dies aber auf Kosten der Vertiefung. "The Defenders" hat versucht, einen Mittelweg zu finden: Zwar kommen viele der Nebencharaktere vor, allerdings bleibt der Fokus auf der Hauptgeschichte, und es werden keine Nebengeschichten erzählt.

Die Fülle an Charakteren ist erst einmal nichts Negatives, schließlich sind diese nicht komplett ohne Verbindung zueinander. So arbeitet etwa Matt "Daredevil" Murdocks bester Freund (Elden Henson) bereits nach Vorkommnissen in "Daredevil" für die Anwaltskanzlei von Jeri Hogarth (Carrie-Anne Moss), die wiederum ein Hauptcharakter in "Jessica Jones" war. Und Krankenschwester Claire Temple (Rosario Dawson) war in jeder einzelnen der bisherigen Serien relevant, sie ist sozusagen der personifizierte Faden, der die Protagonisten bisher miteinander verbunden hat. Aber: Szenen mit diesen Charakteren erscheinen für Neuzuschauer geradezu als unnötig – sie bringen die Geschichte kaum weiter, helfen aber auch nicht wesentlich dabei, die Persönlichkeiten der Superhelden selbst kennenzulernen. Wenn von Maria und Shades gesprochen wird, hat man ohne Kontext keine Ahnung, wer hier gemeint ist. Zeit, das zu zeigen, bleibt keine.

Danny Rand ist (ein bisschen) interessanter

Danny Rand (Finn Jones) ist der unsterbliche Iron Fist.

Das Fleisch und Blut der Serie sind ihre vier Helden: Jessica, der zynische, witzig-freche Detektiv, Matt, der gutherzige, blinde Anwalt, Danny, der selbstgerechte Kung-Fu-Spezialist, und Luke, den man wortwörtlich mit dem Sprichwort "harte Schale, weicher Kern" beschreiben kann. Der schwächste von ihnen bleibt Danny "Iron Fist" Rand, dessen Serie schon die unspannendste der vier war und aufgrund zu langatmiger Erzählung und flacher Charaktere negative Kritiken einstecken musste.

Betrachtet man Danny unabhängig von dem eher nervigen, langweiligen Iron Fist der gleichnamigen Serie, zeigt sich Besserung. Seine Kampfszenen sind besser choreografiert und weil seine Selbstgerechtigkeit von den anderen Charakteren kritisch angesprochen wird (von Luke Cage im Speziellen), wirkt er nicht ganz so fahl.

Gute Gateway-Serie

Alexandra (Sigourney Weaver) und Elektra (Élodie Yung).
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"The Defenders" ist sehr empfehlenswert – unter der Bedingung, dass man zumindest eine der vorherigen Serien gesehen hat. Denn die Verflechtung der vielen Charaktere bedeutet auch, keinen von ihnen in der Tiefe kennenzulernen. Keine Verbindung zu einem von ihnen zu haben erschwert es, sich wirklich um die Geschehnisse zu sorgen oder komplizierte Beziehungen zwischen den Charakteren, wie beispielsweise jene zwischen Matt und Elektra, zu verstehen. Man muss nicht alle Serien gesehen haben, im Gegenteil, "The Defenders" könnte ein guter Gateway zu den restlichen sein – wenn man nur eine geschaut hat.

Trotzdem aber: Einen der Charaktere und seinen Bekanntenkreis näher zu kennen erlaubt, einen Einblick in zumindest einen der vielen Handlungsstränge zu haben. Es bedeutet, als Zuschauer durch die Augen eines dieser Charaktere sehen zu können und seine Taten zu verstehen, ohne gänzlich ins kalte Wasser geworfen zu werden. Schlussendlich ist es keine Strafe, die vorherigen Netflix-Marvel-Serien zu schauen, bis auf "Iron Fist" sind die anderen drei sehr gut.

Starke Persönlichkeiten

Was diese Helden ausmacht, sind nicht ihre Superkräfte oder ihr Drang, die Welt zu retten, sondern ist die Tatsache, dass sie im Kern eben nicht mehr als Menschen sind – mit facettenreichen Persönlichkeiten und emotionaler Verletzlichkeit. Lebendige und dynamische Personen, die trotz der Geschehnisse um sie herum, die aufgrund ihrer Rolle gigantische Ausmaße erreichen, letztlich vor allem ihre persönlichen Krisen überwinden.

Sei es Jessica Jones, die aus ihrer Rolle als Opfer psychischer Gewalt in den Alkoholismus flüchtet, oder Luke Cage, der mit den Geistern seiner Vergangenheit kämpft. Genau das macht die Charaktere interessant, aber dafür muss man sie kennen.

Verlockend, wenn man zumindest einen Charakter kennt

MCUTrailer

"The Defenders" könnte man als Fanservice bezeichnen: Die vier Helden treffen aufeinander, und man darf beobachten, wie sie aufeinander reagieren. In gewisser Weise werden die Charaktere und all ihre Stärken wie auch Schwächen gefeiert. Es ist eine verlockende Zusammensetzung aus Humor, Spannung und gut choreografierten Kampfszenen. Wenn man zumindest einen der vier eben schon kennt und mag.

Wenn man das schon tut, ist die Serie kompetent und eine absolute Empfehlung. Doch ist es nicht der Fall, sind es einfach zu viele Unbekannte, die es erschweren, sich wirklich um sie zu sorgen. Acht Folgen sind zu wenig, um eine so breite Spanne an Charakteren so intim darzustellen, wie es in den jeweiligen Serien getan wurde.

Wunscherfüllung für Fans

Die vier Helden.
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Zusammenfassend sind die Charaktere der Kern, der "The Defenders" zu einer packenden Serie voller Charme macht. Die Interaktionen, die die vier Superhelden miteinander haben, sind es schließlich, die die Serie sehr sehenswert machen. Und umso mitreißender sind diese Momente eben, wenn man bereits mehrere Stunden mit zumindest einem dieser Charaktere verbracht hat und weiß, wie er tickt.

Das heißt nicht, dass "The Defenders" gar nichts taugt, wenn man die Charaktere nicht kennt. Die Geschichte mit der Hand ist spannend erzählt, wie angesprochen kommt das erhöhte Tempo dem Plot zugute, und wenn es einem nicht wichtig ist, bei jeder einzelnen Interaktion genau zu wissen, worum es geht, versteht man die Serie durchaus, hier wurde in den ersten zwei Folgen gute Arbeit geleistet.

Auch die sehr gut choreografierten Kampfszenen können sich sehen lassen. Nur fällt dann eben der Spaß, der durch die Interaktionen der starken Charaktere entsteht, in manchen Aspekten weg. Nachdem die Vorgängerserien "Daredevil", "Jessica Jones" und "Luke Cage" sehr empfehlenswert sind und alle bei demselben Netflix-Abo jederzeit mit wenigen Klicks gestreamt werden können, ist das für "The Defenders" kein Todesurteil. Im Gegenteil – für Fans ist die Serie geradezu eine Wunscherfüllung. (Muzayen Al-Youssef, 17.8.2017)