In den Pausen lärmten hier immer die Kinder – doch seit Monaten herrscht Stille. Die Warschauer Mittelschule Nr. 42 an der Twarda-Straße musste in einen anderen Stadtteil umziehen. Maciej Marcinkowski, ein Geschäftsmann, der Ansprüche auf Eigentumsrückgabe von eigentlich Berechtigten aufkauft und diese dann selbst geltend macht, war kurz davor, auch dieses Gebäude zu übernehmen. Doch dann meldete sich überraschend eine jüdische Erbin aus den USA, und die Stadt Warschau stoppte das Restitutionsverfahren.

Nun soll eine Art "Volkstribunal" diesen und viele ähnliche Fälle wie in einem Schauprozess neu aufrollen und "dem Volk die Gerechtigkeit zurückgeben", wie Justizminister Zbigniew Ziobro von der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sagt. Unter "Volk" versteht die Partei katholische Polen. Das Organ darf wie ein Staatsanwalt Anklage erheben und auch gleich ein Urteil fällen.

Kompetenzchaos auflösen

Wichtigste Zeugin sollte Warschaus Stadtpräsidentin Hanna Gronkiewicz-Waltz von der oppositionellen liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) sein. Doch diese weigerte sich, vor dem Tribunal auszusagen, und verwies auf ihre Klage vor dem Obersten Verwaltungsgericht: Die Kommission sei mit Kompetenzen ausgestattet, die bisher nur ihre eigene Behörde hatte. Bevor das Kompetenzchaos nicht aufgelöst sei, werde sie sich nicht verhören lassen.

Vor dem Zweiten Weltkrieg gehörten die Häuser an der Twarda-Straße zum größten Teil Warschauer Juden. Nach dem Krieg wurde das fast vollständig zerstörte Stadtzentrum enteignet. Zudem verstaatlichten die Kommunisten das Eigentum von Großgrundbesitzern, Unternehmern, "Klassenfeinden", religiösen Gemeinden sowie "deutsches und verlassenes Eigentum". Das "verlassene Eigentum" gehörte Juden.

Ringen um ein neues Gesetz

Eine völlig neue Situation entstand nach der Wende 1989. Doch schon 2001 scheiterte ein Restitutionsgesetz am Veto des damaligen Präsidenten Aleksander Kwasniewski, da eine Sammelklage polnischer Holocaust-Überlebender vor einem New Yorker Gericht anhängig war. Das Verfahren wurde in Erwartung eines verbesserten Gesetzes ausgesetzt. Danach schaffte es keine Regierung mehr, ein neues Restitutionsgesetz auf den Weg zu bringen. Die Enteigneten sind auf den Gerichtsweg angewiesen. Der aber ist teuer, langwierig – und endet oft anders als erwartet.

So ist in den vergangenen Jahren eine regelrechte "Restitutionsmafia" entstanden, bei der Immobilienhaie, windige Anwälte, bestechliche Richter und Verwaltungsbeamte Millionen scheffelten. Die Masche ist fast immer die gleiche: Ein Unternehmer, Beamter oder Anwalt kauft den eigentlich Berechtigten ihre Rückgabeansprüche für relativ wenig Geld ab und setzt diese dann für sich selbst durch – mit Millionengewinn. Die Mieter der bisherigen Staatsimmobilie sind meist nicht in der Lage, die nach der Sanierung des Hauses höhere Miete zu zahlen, und müssen deshalb häufig ausziehen. (Gabriele Lesser aus Warschau, 17.8.2017)