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Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vučić wagt mit der Unterstützung Deutschlands und der EU eine Kehrtwende in der serbischen Kosovo-Politik. Die neue Rhetorik ist ein Schritt zur weiteren Befriedung der Region.

Foto: AP/Darko Vojinovic

Belgrad/Prishtina – Es wusste jeder, der sich damit beschäftigte, aber es war ein Tabu, die Realität einzugestehen. Der Kosovo war seit dem Krieg 1999 nicht mehr unter der Kontrolle Serbiens, und spätestens seit die Erklärung der Unabhängigkeit 2008 vom Westen unterstützt und der neue Staat anerkannt wurde, war klar, dass Serbien keinen Einfluss über das Territorium mehr bekommen wird.

Mehr als neun Jahre später fordert nun der serbische Präsident Aleksandar Vučić, seine Landsleute auf, dies zur Kenntnis zu nehmen. Ende Juli schrieb er in einem Artikel für die Zeitung Blic: "Wir müssen realistisch sein, nicht irgendetwas verlieren oder weggeben, was wir haben, aber auch nicht erwarten, etwas zu bekommen, was wir vor langer Zeit verloren haben."

Seitdem wird Vučić unter europäischen Diplomaten sogar mit Willy Brandt verglichen. Brandt machte Anfang der 1970er eine Kehrtwende in der Ostpolitik – "Wandel durch Annäherung" genannt. Vučić, der in Serbien die große Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hat, traut sich, eine Debatte anzustoßen, die positive Auswirkungen verspricht. Serbien kann Altlasten fallenlassen, und in der gesamten Region könnte durch eine endgültige Klärung der Verhältnisse zwischen den Staaten Ex-Jugoslawiens eine Normalität verwirklicht werden.

Viele Reisesperren

Bisher können etwa auch Bosnier nicht in den Kosovo reisen oder umgekehrt, weil Bosnien-Herzegowina den Staat Kosovo auch nicht anerkannt hat. Die ehemalige Provinz von Jugoslawien wurde von serbischen Eliten fortwährend als "die Wiege Serbiens" hochstilisiert. Den Menschen wurde vermittelt, dass Serbien nicht mehr Serbien wäre, wenn es den Kosovo verlieren würde. Es ist nun Vučićs Verdienst, dass er diese Propaganda nun beendet. Er verknüpft die Angelegenheit sogar etwas pathetisch mit seinem eigenen Schicksal. Schweigen würde bedeuten, dass seine Politik und sein "ganzes Leben" scheiterten. Nichthandeln sei ein "historisches Verbrechen".

Kein konkreter Plan

Damit öffnet er sich selbst geschickt neuen Handlungsspielraum. Allerdings hat er noch keinen konkreten Plan vorgelegt. Vučić weiß aber, dass Serbien ohne eine "Normalisierung" der Beziehungen zum Kosovo nicht der EU beitreten kann. Eines seiner Probleme ist, dass in der Präambel der serbischen Verfassung, der Kosovo als integraler Teil des serbischen Staates bezeichnet wird.

Diese Präambel ist kaum zu ändern. Denn es braucht nicht nur eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, sondern auch ein Referendum. Sämtliche Politologen in Serbien gehen davon aus, dass es dafür aber keine Mehrheit gibt. Möglich wäre allerdings ein Vertrag zwischen den Staaten – analog zum Grundlagenvertrag zwischen der BRD und DDR im Jahr 1972, damals hat Bonn die DDR zwar nicht de jure, aber de facto anerkannt. Serbien könnte damit auch zulassen, dass der Kosovo in internationalen Organisationen aufgenommen wird, was bisher von Belgrad blockiert wird.

Macher auf dem Balkan

Vučić, der von Deutschland und der EU-Kommission schon lange als der entscheidende "Macher" auf dem Balkan angesehen wird, hat sich mit seinem jüngsten Schritt klar als "Mann des Westens" definiert. Wenn er allerdings davon schreibt, dass "die Serben" die Stärke und die Bestrebungen "der Albaner" nicht verstanden hätten, definiert er das Problem offenbar als eines zwischen zwei Volksgruppen. Damit ist er nicht allein. Sämtliche Politiker auf dem Balkan haben die Idee von ethnisch homogenen Nationalstaaten nie aufgegeben und die Schaffung von Bürgerstaaten nie wirklich übernommen.

Diese völkische Sicht auf die Dinge birgt Hindernisse für den Dialog. Einen solchen führen Serbien und der Kosovo bereits seit 2011 unter der Mediation der EU. Mit Vučićs Vorstoß sollte er aber nun an Dynamik gewinnen. (Adelheid Wölfl, 17.8.2017)