Hannes Fellner wurde mit einem Start-Preis des Wissenschaftsfonds FWF ausgezeichnet.

Foto: Laura Grestenberger

Wien – Hannes Fellner gehört zur exklusiven Gruppe jener Menschen, die des Tocharischen mächtig sind. Wer noch nie von der Existenz einer solchen Sprache gehört hat, möge sich die Bildungslücke verzeihen: Immerhin hat man diesen ausgestorbenen Sprachzweig der indogermanischen Sprachfamilie erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg entdeckt. Und zwar im Zuge militärisch-archäologischer Expeditionen ins damals politisch geschwächte China, wo in der heutigen Region Xinjiang im zweiten Jahrhundert n. Chr. zahllose buddhistische Gemeinden und Klöster entlang der Seidenstraße entstanden waren.

"Die Schriften dieser kulturellen Zentren, deren Textzeugnisse zu den ältesten des Buddhismus zählen, waren unter anderem auf Tocharisch und Sanskrit abgefasst", sagt der historische Sprachwissenschafter, der kürzlich mit einem Start-Preis des Wissenschaftsfonds FWF ausgezeichnet worden ist. "Meist waren sie mit einer Art Tusche auf Papier geschrieben und in Bibliotheken verwahrt oder als religiöse Dokumente auch in Stupas eingemauert." Dass diese Texte heute noch erhalten sind, ist dem extrem trockenen Klima in den Oasenstädten am Rande der Taklamakan-Wüste zu verdanken, wo sie gefunden wurden. Mit dem Preisgeld will Hannes Fellner mit seinem Team in den nächsten sechs Jahren die alten Texte dieser Region in einer Onlinedatenbank zugänglich zu machen und die Brahmi-Schrift, in der diese Sprachen geschrieben wurden, einer umfassenden schriftkundlichen Untersuchung unterziehen.

"Zurzeit ist das in Brahmi geschriebene Material auf viele unterschiedliche Ausgaben verstreut und meist nicht computergestützt untersuchbar", so der 37-Jährige, der in Wien Sprachwissenschaft studierte, seine Doktorarbeit in Harvard schrieb und nun an der Universität Wien forscht. Seine wissenschaftliche Arbeit betreibt Fellner nicht nur am Schreibtisch: "Zum Glück bin ich auch selbst öfter in Xinjiang", berichtet er über den Feldforschungsaspekt seiner Arbeit. Konkret stehen im Oktober Recherchen in der größten Bibliothek für Seidenstraßenmanuskripte in der Oasenstadt Dunhuang auf dem Programm, außerdem wollen die Forscher uralte Graffiti in den buddhistischen Höhlen des Tarimbeckens fotografieren.

"In der Datenbank werden die Texte dann direkt mit ihren digitalen Fotografien verbunden, was die Suche nach Zeichen und Wörtern im gesamten Textmaterial ermöglicht", sagt Fellner. Für eine gewisse Abenteuer- und Goldgräberstimmung sorgt dabei der Umstand, dass fast wöchentlich neue Gegenstände wie etwa beschriebene Holztäfelchen von den chinesischen Archäologen gefunden werden. Bei den großen Expeditionen vor mehr als 100 Jahren herrschte diese Goldgräberstimmung nicht nur in wissenschaftlicher Hinsicht: Damals wurden die geborgenen Schätze in bewährter kolonialistischer Manier gleich mitgenommen, wovon die vielen Seidenstraßenrelikte in den Museen von Berlin, Paris und London zeugen.

Den Ausgleich zu seiner sprachwissenschaftlichen Arbeit schafft sich Fellner übrigens als Gitarrist in zwei sehr unterschiedlichen Bands: "Mit der einen spiele ich Blues und Jazz, in der anderen geht es ein bisschen härter zu", sagt er. "Heavy Metal, aber von der anspruchsvolleren Sorte." (Doris Griesser, 20.8.2017)