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Ein US-Amerikaner wartet auf eine Rede von Präsident Trump. Ökonom Gabriel Felbermayr nennt die "America-first-Strategie" selbstmörderisch.

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Gabriel Felbermayr über Handelsbarrieren, Zölle und den Brexit.

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Wien – Die Vorstellungen, wie es nach dem Brexit im März 2019 weitergehen soll, werden konkreter. Wie am Dienstag bekannt wurde, möchte die britische Regierung, dass das Vereinigte Königreich nach dem Brexit für drei Jahre weiter der EU-Zollunion angehört. Aber was bedeutet es, wenn die Zölle danach zurückkehren?

STANDARD: Erleben wir ein Comeback der Grenzen?

Felbermayr: Das kann man sagen, aber anders, als viele denken. Die Entwicklung hat nichts mit Trump oder dem Brexit zu tun. Innerhalb der Welthandelsorganisation WTO gibt es zugelassene Instrumente, die Staaten einsetzen können, um sich gegen ausländische Konkurrenten zu wehren. Das sind Anti-Dumping-Maßnahmen, die legal sind, wenn ein ausländischer Unternehmer Waren extrem billig anbietet, um damit inländische Mitbewerber aus dem Markt zu drängen. Die EU belegt deshalb Fahrräder aus China, Laos und Marokko mit 48,5 Prozent Zoll. Europa nutzt ähnliche Instrumente gegen Biotreibstoff aus den USA, gegen Stahlprodukte aus China.

STANDARD: Worin liegt das Problem?

Felbermayr: Im vergangenen Jahr unterlagen 3,5 Prozent der weltweit gehandelten Produkte solchen Maßnahmen. Vor zehn Jahren, vor Beginn der Finanzkrise, waren es weniger als zwei Prozent. Der Anteil hat sich also verdoppelt. Natürlich gibt es Probleme mit chinesischem Stahl. Aber insgesamt drängt sich der Verdacht auf, dass es in vielen Fällen darum geht, Branchen, die mit Problemen kämpfen, vor ausländischen Mittbewerbern zu schützen. Das ist in Krisensituationen regelmäßig der Fall. So auch jetzt.

STANDARD: In wenigen Jahren könnte es zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich wieder Zölle geben. Wie hart würde das die Wirtschaft treffen?

Felbermayr: Wenn es der EU und den Briten nicht gelingt, ein Freihandelsabkommen bis März 2019 auszuhandeln, würden die Regeln der WTO greifen: Die EU müsste gegenüber den Briten dieselben Zölle einheben wie gegenüber anderen WTO-Ländern wie China. Das würde die Automobilindustrie hart treffen, bei der es immer noch Zölle in Höhe von zehn Prozent gibt. Es macht schon einen Unterschied, ob ein BMW-Mini, der in Oxford gebaut wird, einer zehnprozentigen Grenzsteuer unterliegt, wenn er nach Österreich ausgeführt wird. Dazu kommt, dass dieser Mini häufig einen Motor aus Steyr hat, die Zölle also kumulieren würden.

STANDARD: Wobei die Außenzölle der EU sehr niedrig sind.

Felbermayr: Sie liegen im Durchschnitt bei drei bis dreieinhalb Prozent. Da wirken sich die Schwankungen des Pfundkurses oft mehr aus. Die meisten Experten sagen deshalb, dass der Zoll ein Ärgernis ist, aber nicht das zentrale Problem.

STANDARD: Was also ist das Problem?

Felbermayr: Sollten die Briten die Zollunion verlassen, kommen andere Barrieren hinzu. Formulare müssten ausgefüllt werden, an Häfen müsste kontrolliert werden. Die meisten Studien sagen, dass diese Bürokratiekosten sehr viel höher für Unternehmen sind als die Zölle selbst und dass sie vor allem kleinen Unternehmen schaden, die keine spezialisierten Rechtsabteilungen unterhalten. Wenn es ein Freihandelsabkommen gibt, müssten europäische und britische Exporteure zudem sogenannte Ursprungsnachweise erbringen. Das ist ein hochkomplexes Verfahren, das für viele Unternehmer enervierend ist.

STANDARD: Ursprungsnachweise bedeuten, dass Firmen belegen müssen, dass ein Produkt in der EU oder in Großbritannien hergestellt wurde. Nur dann fällt es unter ein Freihandelsabkommen. Ist das so ein Problem?

Felbermayr: Das modernste Abkommen der EU ist jenes aus dem Jahr 2011 mit Südkorea. Da gibt es mit den Ursprungsregeln große Probleme. Nur zwei Drittel des Exportvolumens der Europäer profitieren zollrechtlich vom Abkommen. Das andere Drittel wird so ausgeführt, als gebe es die Vereinbarung gar nicht, weil die Exporteure sagen, der bürokratische Aufwand ist zu groß. Solche Probleme wären aber vermeidbar.

STANDARD: Wie?

Felbermayr: Wenn Waren innerhalb der EU gehandelt werden, gelten in jedem Land unterschiedliche Mehrwertsteuersätze. Wird ein Produkt aus Wien in London verkauft, unterliegt das nicht der Mehrwertsteuer in Österreich, dafür jener im Vereinigten Königreich. Dieser Steuerausgleich läuft elektronisch ab, ohne Papierkram, und nicht an der Grenze. Dieses System könnte man für die Zolleinhebung ebenfalls verwenden. Diesen Vorschlag hat das Ifo in München gemacht. Es gäbe dann auch an den Häfen keine kilometerlangen Schlangen.

STANDARD: Und der Nachweis des Ursprungslandes?

Felbermayr: Darauf könnte in bestimmten Fällen verzichtet werden. Die Nachweispflicht braucht es ja, damit die Briten nicht eines Tages Autos aus China zollfrei importieren und dann in die EU im Rahmen eines Freihandelsabkommens weiterverkaufen. Das könnte man verhindern, wenn die Briten Automobile aus China mit zehn Prozent Zoll belegen. In diesem Fall könnte auf Nachweispflichten verzichtet werden.

STANDARD: Das bedeutet doch, dass die Grenze und selbst Zölle das Wirtschaftsleben nicht wesentlich stören müssten?

Felbermayr: Ja, ich glaube bei Einsatz entsprechender technischer Hilfsmittel und des notwendigen politischen Willens ist das machbar. Freilich ist da Neuland dabei, bei Freihandelsabkommen gab es bisher Ursprungsregeln regelmäßig. Auch könnte man Warenüberprüfungen an der Grenze im Hinblick auf sanitäre Bestimmungen nur dann effektiv verhindern, wenn die EU und Briten die Standards gegenseitig anerkennen. Auch das wird nicht einfach.

STANDARD: Das andere Sorgenkind der Ökonomen in puncto Handel sind die USA. Trump hat bisher seine "America first"-Ankündigungen nicht umgesetzt.

Felbermayr: Es laufen in den USA eine Reihe von Untersuchungen gegen Handelspartner wie Japan, Deutschland, Südkorea und China. Dabei wollen die USA klassische WTO-Verfahren nutzen, um gegen Unternehmen vorzugehen. Das ist schon ein anderer Ton und eine schärfere Vorgangsweise, die wir bisher nicht aus Washington gekannt haben. Aber die großen Ängste, dass die USA aus der WTO austreten, dass sie Nafta zerreißen und großflächig mit Strafzöllen operieren – all das können wir vergessen, wird nicht kommen.

STANDARD: Sie klingen sehr sicher.

Felbermayr: Eine America-first-Strategie, die darauf hinausläuft, dass bei Walmart alles um 20 Prozent teurer wird, das wäre für Trump und die Republikaner selbstmörderisch. Man darf nicht vergessen, dass die US-Amerikaner seit vielen Jahrzehnten mehr importieren als exportieren. Es gibt in den USA also eine mächtige Importbranche, oft mächtiger als die Exportindustrie. Walmarkt holt billig Waren aus China und verkauft sie teurer an Konsumenten. Da gibt es große ökonomische Interessen am Status quo. Dazu kommt, dass die WTO auch den Dienstleistungssektor betrifft: Die USA haben einen gewaltigen Dienstleistungsüberschuss. Wenn die USA aus der WTO aussteigen, verlieren sie den Schutz im Ausland. Die WTO schützt zudem geistiges Eigentum – so auch das Logo von Herrn Trump und seinem Imperium. Insofern hat sich viel von der feurigen Rhetorik in Rauch aufgelöst. (András Szigetvari, 17.8.2017)