Angriff abgewendet: Deutschlands Parteiendemokratie erwies sich bisher auch gegen rechtspopulistische Angriffe als stabil.

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Die europäische Parteiendemokratie ist in der Krise, "Bewegungen", wohin man blickt. Macron hat eine gegründet, die alte Dame ÖVP wurde umlackiert und ist jetzt ebenso eine, der Movimento Cinque Stelle bewegt Italien schon länger. Auch die FPÖ war schon einmal eine Bewegung. Hat sich das traditionelle Parteienmodell also überlebt, wie Ernst Smole (der Standard, 8. 8. 2017) meint?

Die Krise der Parteiendemokratie ist kein allein westliches Phänomen; ebenso wie der moderne Rechtspopulismus ist sie eine dominant europäische Erscheinung. Die populistisch-nationalistischen Parteien der Neuen Welt – der kanadische Bloc Québécois, die australische One Nation Party und New Zealand First – feierten ihre größten Wahlerfolge in den 1990er-Jahren. Aus europäischer Sicht interessant ist vor allem das Beispiel Neuseeland, das sein Wahlsystem 1993 von britischem Mehrheitswahlrecht auf Verhältniswahlrecht nach deutschem Vorbild umgestellt hat. Das neue Wahlrecht ermöglichte New Zealand First 1996 eine Steigerung der Mandate von zwei auf 17 Sitze und die Einbindung in eine Regierungskoalition.

Doch die 13 Prozent des Jahres 1996, die sich 1999 wieder auf vier reduzierten, blieben zugleich auch der größte Erfolg der Partei. Zum Vergleich: Die FPÖ konnte zwischen der Übernahme durch Jörg Haider 1986 und der Regierungskoalition 2000 bei jeder Wahl kontinuierlich von knapp zehn Prozent auf knapp 27 zulegen; FPÖ und BZÖ gemeinsam steigerten ihr Ergebnis 2008 noch auf 28. Was also läuft schief?

Von verschiedenen nationalen Stimmenbringern und den Konstruktionsschwächen der Europäischen Union abgesehen, ist es vor allem das chaotisch, konzeptlos und ohne intellektuelle Führung diskutierte Migrationsthema, das den europäischen Populismus befeuert. Dennoch gelingt es etwa Deutschland, sein Parteiensystem von Auflösungserscheinungen freizuhalten. Trotz Flüchtlingskrise und temporärer Höhenflüge bei den Landtagswahlen profitiert die AfD nur moderat; bis auf den zu erwartenden Wiedereinzug der FDP weisen die aktuellen Umfragen fast keine Änderungen der Stimmverteilung aus. Die Konstitution des Systems scheint hier nach wie vor robust.

Deutschland, heute eines der stabilsten Länder der westlichen Welt, ist das vielleicht beste Beispiel für den Wert und die Leistungen der traditionellen Parteiendemokratie. Anders als in Österreich funktionierte hier der politische Wechsel – eine historische Leistung der FDP, die über Jahrzehnte hinweg Regierungsmehrheiten ohne große Koalitionen ermöglichte. Und anders als in Österreich verhinderten die wechselnden Mehrheiten auch ein Erstarren zu einem System, in dem nicht Überzeugung und persönliches Engagement im Vordergrund stehen, sondern Opportunismus und Protektionsdenken.

Die demokratisch in vielem gesünderen Verhältnisse in Deutschland sind auch ein Produkt des klugen deutschen Parteiengesetzes von 1967 – anders als das österreichische Parteiengesetz von 2012 wurde es von Experten erarbeitet und nicht von jenen, die in dieser Sache im doppelten Wortsinn "Partei" sind.

Breite Verankerung

Das deutsche System legt großen Wert auf eine breite gesellschaftliche Verankerung politischer Parteien und kürzt staatliche Förderungen ebenso bei zu großer privater Unterstützung wie bei zu geringer Eigenleistung (Mitgliedsbeiträge, Spenden). Als förderwürdig qualifiziert sich eine Partei nicht nur aufgrund der "Festigkeit ihrer Organisation" und ihres "Hervortretens in der Öffentlichkeit", sondern auch durch die "Zahl ihrer Mitglieder".

Eine Sechs-Mitglieder-Partei wie das verblichene Team Stronach bekäme in Deutschland keine Zuwendungen; auch nicht ein reiner Personen-Wahlverein wie die Liste Pilz, die sich zum Zweck der Förderwürdigkeit in eine Vier-Mitglieder-Partei verwandeln will – in Österreich kein Problem, das österreichische Gesetz duldet selbst eine Mitgliederversammlung, die sich nicht einmal im Kreis aufstellen kann.

Eine Reform des Systems wird von vielen versprochen; doch man erfährt keinerlei Details. Neben Mindestanforderungen bei der Zahl der Mitglieder wäre eine Deckelung der Mittel mit einem erzwungenen Finanzausgleich auf den drei Förderebenen Bund, Länder, Gemeinden analog dem deutschen System zu begrüßen – in Österreich sind diese Zahlungen rein additiv und führen zu einem weit höheren maximalen Fördervolumen als in Deutschland.

Auch die großzügige österreichische Praxis, Parteienförderung nicht, wie in Deutschland, an die gültigen Stimmen, sondern an die Zahl der Wahlberechtigten zu binden, ist ein Reformkandidat. Um keine Fehlanreize für die große Gruppe jener zu bieten, die sich auf eher undifferenzierte Weise bei "denen da oben" revanchieren wollen, ließe sich das System sehr einfach mit einer zusätzlichen Stimmkategorie für Wähler ausstatten, die keine der kandidierenden Listen unterstützen wollen. Wird der Prozentsatz dieser Stimmen von der Gesamtförderung abgezogen, findet eine automatische Begrenzung der Förderleistung im Ausmaß der faktischen Wahlbeteiligung statt – ein Effekt, den weder eine Wahlenthaltung hätte noch das in Österreich populäre Zornkreuzerl bei jenen, die gerade am lautesten bei Stimme sind.

Die berechtigte Kritik an Missständen der österreichischen Parteiendemokratie droht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Parteien spielen eine wichtige Rolle bei der demokratischen Willensbildung und sollen sie auch spielen. Doch damit alles bleibt, wie es ist, muss sich alles ändern. (Christoph Landerer, 17.8.2017)