Ankara/Wien – Begleitet von neuen angeblichen Enthüllungen in Regierungsmedien macht die türkische Führung weiter Druck auf die deutsche Regierung, den Aufenthaltsort von Adil Öksüz zu klären, einem türkischen Theologiedozenten, der ein Hauptverdächtiger des Putschs vom Sommer 2016 ist. Deutschland und die Türkei hätten im Fall Öksüz eine enge Zusammenarbeit vereinbart, erklärte der türkische Präsidentensprecher Ibrahim Kalin am Donnerstag in Ankara. Europaminister Ömer Çelik forderte Berlin zu Anstrengungen bei der Suche nach Öksüz auf. "Kein Verbündeter von uns kann einem Mörder Zuflucht gewähren", sagte der Minister bei einer Pressekonferenz in der türkischen Hauptstadt.

Der 50-jährige Öksüz hielt sich in der Putschnacht auf dem Luftwaffenstützpunkt Akinci nordwestlich von Ankara auf. Seine Anwesenheit und die von vier weiteren Zivilisten auf der Basis, die offenbar die Kommandozentrale der Putschisten war, gilt als der stärkste Hinweis auf eine Rolle der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen bei dem vereitelten Staatsstreich vom 15. Juli 2016.

Festnahme und Freilassung

Öksüz war in der Früh nach dem Putsch unweit der Militärbasis festgenommen worden, kam aber drei Tage später frei und verschwand. Ein offenbar Gülen-treuer Richter hatte seine Freilassung angeordnet. Öksüz ist nach Fethullah Gülen, der in den USA lebt, der Hauptangeklagte bei den Putschprozessen in der Türkei. Der ehemalige Kommandant der Luftstreitkräfte Akin Öztürk ist der hochrangigste Militär, der vor Gericht steht. Für Hinweise auf Öksüz' Aufenthaltsort, die zu seiner Festnahme führen, haben die türkischen Behörden eine Belohnung von vier Millionen Lira, umgerechnet eine Million Euro, ausgeschrieben.

Sollte der flüchtige Öksüz nun tatsächlich in Deutschland sein, wäre das auch von erheblicher politischer Bedeutung: Ankaras fortgesetzte Klagen, Deutschland nehme die zahlreichen Ansuchen auf Auslieferung mutmaßlicher Putschverdächtiger und Anhänger der Gülen-Bewegung nicht ernst und gewähre "Terroristen" Schutz, müssten dann wohl neu bewertet werden. Der Sprecher des deutschen Außenamts in Berlin bestätigte Mittwoch den Eingang einer diplomatischen Note der Türkei zum Fall Öksüz. Ob sich der Theologe tatsächlich in Deutschland aufhalte, wisse er aber nicht, sagte Martin Schäfer.

Das regierungstreue islamistische Boulevardblatt Yeni Safak hatte behauptet, Öksüz sei in Ulm und Frankfurt gesichtet worden und habe eine Aufenthaltsgenehmigung vom Bundesland Baden-Württemberg erhalten. Am Donnerstag meldete das Blatt, Öksüz' Flucht nach Deutschland sei durch die US-Botschaft arrangiert worden. Öksüz soll an Bord einer Transportmaschine zum Bundeswehrstützpunkt Wunstorf bei Hannover geflogen sein. Ein Zeuge will den Verdächtigen auch vor einem Monat in einem türkischen Lokal in der Innenstadt von Hannover gesehen haben.

Putschplan seit Ende 2015

Spekulationen über Öksüz' möglicherweise zentrale Rolle bei dem Putsch tauchten gleich nach seiner überraschenden Freilassung am 18. Juli 2016 auf. Videobilder von Öksüz auf den Korridoren der Militärbasis Akinci in der Putschnacht wurden veröffentlicht, aber auch vom Flughafen Atatürk in Istanbul im Frühjahr 2016; Öksüz war in Begleitung seines Gehilfen Kemal Batmaz – auch er war einer der Zivilisten in Akinci – mehrmals in die USA gereist, mutmaßlich zu Gesprächen mit Gülen. In der Anklageschrift zum Akinci-Prozess, der vor zwei Wochen begann, heißt es, Öksüz habe gleich nach der Parlamentswahl im November 2015 mit den Planungen für einen Putsch begonnen. Damals hatte die Regierungspartei AKP wieder die absolute Mehrheit geholt. Öksüz soll dann in einem angemieteten Haus in Ankara Treffen mit Offizieren abgehalten haben. (Markus Bernath, 18.8.2017)

Foto: Altan Gocher