Lulus & Co: A. Drexler, I. Dychauk, F. Haberlandt und A. Labed (von links).


Foto: Barbara Gindl / APA

Hallein – Auf der Perner-Insel in Hallein hausen die Figuren aus Frank Wedekinds Lulu unter einem Berg von anthrazitfarbigen Kugelballons. In der 1889 uraufgeführten Tragödie – man folgt hier, bei den Salzburger Festspielen, der Urfassung von 1894 – zieht das Mädchen Lulu von einem Mann zum nächsten, und ein jeder von ihnen wird am Ende seinem eigenen Begehren zum Opfer gefallen sein.

Regisseurin Athina Rachel Tsangari stellte ihnen sich immer wieder langsam hebende und senkende, mit Luft gefüllte, leicht transparente Blasen als einziges Inventar in dieser abstrakten Welt zur Seite.

In diesen taucht das Personal einer nach dem anderen wie von Zauberhand aus dem Fußboden auf. Und nach vollbrachtem Auftritt durch nicht sichtbare Löcher zwischen den Fliesen entschlossen wieder ab, nicht selten kopfüber! Das ist fabelhaft gemacht (Bühne: Florian Lösche) und ist das Zeichen einer Kunstwelt, angesichts derer man sich fragt, wie Figuren namens Schigolch, Geschwitz oder Quast je durch Türen schreiten konnten.

Lulu selbst schält sich zu Beginn alienhaft als Dreigestalt (Anna Drexler, Isolda Dychauk, Ariane Labed) aus einer Haut und lässt sich, kaum auf den Beinen, als "Frau Obermedizinalrat" umgarnen.

Das ist einer der signifikantesten Momente eines Abends, der die Theorie einer sich selbst fressenden Welt an die vorderste Stelle stellt. Der Moment enthält auch jene Komik, für die Tsangari durch ihre Filme (Attenberg, Chevalier) bekannt ist. Und auf die man sich in diesem grauen, von einem unnachgiebig drückenden Soundscore (Mauricio Pauly) begleiteten Malstrom nur so freut.

Dieses Konzept der Abstraktion hat aber auch seinen Preis: Das Spiel bleibt auf Distanz, in der Mechanik der Männerwechsel weicht jedes Handlungsmotiv dem Automatismus. Die (Selbst-) Vernichtung zieht rätselhaft und unbeirrbar ihre Spur. Letztlich wirkt auch das Ballonarrangement beliebig. Die als Projektionsfläche dienenden Rundlinge blicken zwischen zwei Akten allerdings einmal als riesige Augäpfel ins Publikum zurück.

Tod durch einen Freier

Nüchtern managt Tsangari die todbringenden Begegnungen, wobei sie mit ihren Spielern ein schönes Bewegungsvokabular von erotischer Sachlichkeit entwickelt hat. Anrührend ist der Abend nicht, er exekutiert vielmehr ein klares, handfestes Konzept, das übrigens auch mit einem veränderten Schluss aufwartet.

Anstatt sich Jack the Ripper ans Messer zu liefern, stirbt Lulu hier einen Tod im Liebesakt mit einem Freier, der qua Darstellerin als ein Teil ihrer selbst interpretiert werden kann und damit auch als eigenmächtig – ein Statement Tsangaris, das die Selbstauslöschungsmetapher, die dieser Inszenierung zugrunde liegt, konsequent weiterdenkt. Mit diesem Theaterdebüt (Lulu ist kein ganz leichter Stoff) hat die Regisseurin jedenfalls Mut und Risikofreude bewiesen.

Dass Lulu für eine Mehrzahl von Figuren steht, das hat Wedekind mit den Namensvariationen bereits angedeutet. Nellie, Eva, Mignon oder Katja kann sie heißen. Das Salzburger Dreigespann ist also durchaus keine Überraschung.

Drei Leerstellen

In dicken Partnerlook-Kostümen (von Beatrix von Pilgrim) repräsentieren die drei eine Leerstelle, der gegenüber die Garde der Männer an Kontur gewinnt: Schöning (Steven Scharf) als ein Mann von scheinbar natürlicher Autorität und Klarsicht; sein tollpatschiger Sohn Alwa (Christian Friedel); Schigolch (Rainer Bock) als graue Eminenz unerbittlicher Härte; der fahrlässig zartbesaitete Maler Schwarz (Maik Solbach); und Benny Claessens, der ein lasziv-groteskes Solo als muskulöser Künstler hinlegt.

Allen voran entwirft Fritzi Haberlandt als Geschwitz in wenigen Auftritten einen von arger Liebesentbehrung gezeichneten Figurenkörper. (Margarete Affenzeller, 18.8.2017)