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Die Legenden des Amerikanischen Bürgerkriegs wurden auch durch Literatur und Film mitformuliert. Nun wird in einem früheren Kino an die in Charlottesville ermordete Heather Heyer erinnert.

Foto: APA / Getty Images

Das Vergangene ist nie tot, es ist nicht einmal vergangen", schrieb einst der in Mississippi geborene Nobelpreisträger für Literatur William Faulkner. In Zusammenhang mit den blutigen Ausschreitungen in Charlottesville am letzten Samstag in Reaktion auf einen Stadtratsbeschluss, eine Statue des Konföderierten-Generals Robert E. Lee aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg (1861- 1865) zu entfernen, klingen die Worte des Schriftstellers aktueller denn je.

Das ist kein Zufall, denn in den Romanen Faulkners ist der Bürgerkrieg der eigentliche Protagonist und die treibende Erzählkraft. Wie die Zusammenstöße in Charlottesville zeigen, können die Vereinigten Staaten dem Krieg nur schwer entkommen. Nach wie vor polarisiert der blutigste Konflikt in der Geschichte des Landes – das Vergangene ist tatsächlich nie tot.

Der amerikanische Historiker Shelby Foote meinte einst, dass jeder, der die USA verstehen wolle, den Amerikanischen Bürgerkrieg, die größte Katastrophe in der politischen Geschichte des Landes, studieren müsse. Er nannte den Krieg den "Scheideweg unseres Seins". Dies gilt besonders für den tiefen amerikanischen Süden, wo Faulkner im frühen 20. Jahrhundert aufwuchs, geprägt vom Gedankengut der Konföderierten Staaten von Amerika, der Zivilisation Vom Winde verweht, wie Margaret Mitchell sie 1936 im gleichnamigen Roman nannte.

Doch in vielerlei Hinsicht wurden die Konföderierten Staaten durch die Niederlage 1865 nicht einfach vom Wind weggefegt. Im Gegensatz zu anderen Konflikten hielten nach dem Krieg die Besiegten und nicht die Sieger die Zügel weiterhin fest in der Hand, mit dem Ergebnis, dass trotz der militärischen Niederlage viele Institutionen des alten Südens – inklusive dessen Gedankengutes – in leicht abgeänderter Form bis ins späte 20. Jahrhundert mehr oder minder intakt blieben.

Etwa wurde schon ab den 1870er-Jahren in den Südstaaten wieder sukzessiv ein De-facto-System der Sklaverei – die Hauptursache des Bürgerkrieges – etabliert. Die sogenannten Jim-Crow-Gesetze zementierten gesetzlich die Rassentrennung von Weiß und Schwarz. Afroamerikaner verloren ebenfalls de facto das Wahlrecht in den elf Bundesstaaten der ehemaligen Konföderation.

Verklärter Krieg

Gleichzeitig verklärten Südstaaten-Apologeten den Bürgerkrieg zu einem Konflikt, in dem es nicht um Sklaverei, sondern um Rechte der Bundesstaaten und persönlicher Freiheit ging, eine zweite amerikanische Revolution, heute als Legende der "verlorenen Sache" ("The Lost Cause") bekannt. Diese Mythologie verklärte den Krieg zum Kampf einer gottesfürchtigen, ritterlichen Zivilisation, in der der Sklave und der aristokratische Plantagenbesitzer in Harmonie miteinander lebten, gegen eine seelenlose moderne industrielle Übermacht.

Faulkners Werke trugen leider zum Fortbestand dieser Legende bei. In seinem Roman Intruders in the Dust verklärte er den sinnlosen Angriff der Konföderierten-Armee unter Robert E. Lee bei Gettysburg 1863 zur Hochwassermarke der Südstaaten, wo der Sieg über die Union und "der goldene Dom Washingtons" noch in greifbarer Nähe schienen. Laut Faulkners Buch hat jeder 14-jährige Südstaatenbursche die Fähigkeit, sich an diesen schicksalhaften Julinachmittag bei Gettysburg zurückzuversetzen, bevor der Angriff fehlschlug, bevor die "Sache" endgültig verloren war.

Die Legende ignorierte, dass Generäle wie Robert E. Lee den Krieg auf den Schlachtfeldern verloren hatten, und gab Politikern der Südstaaten, allen voran dem Präsidenten der Konföderierten Staaten, Jefferson Davies, Schuld am Untergang des Südens. Aus diesem Grund wurden im 20. Jahrhundert vor allem Monumente von Soldaten der Konföderierten wie die Robert-E.-Lee-Statue in Charlottesville und keine von Politikern errichtet.

Die "verlorene Sache" und deren Interpretation der Geschichte blieben bewusst über Jahrzehnte im 20. Jahrhundert unangetastet. Landesverräter wie Robert E. Lee galten lange als Helden in weiten Teilen des Landes – auch abseits der extremen Rechten. In dem 1993 gedrehten und von Ted Turner produzierten Spielfilm Gettysburg wurde Lee noch als "der vielleicht beliebteste General der amerikanischen Geschichte" bezeichnet.

Dies hatte spezielle historische Gründe: Die US-Regierung wollte während des Ersten und Zweiten Weltkrieges die nationale Einheit fördern und blickte bewusst über die Fehlinterpretation des Krieges und die Legendenbildung hinweg. Ein gutes Indiz dafür ist, dass viele Kasernen, die während der Weltkriege errichtet wurden, bewusst nach Generälen der Konföderierten-Armee (Fort Lee, Fort Hood, Fort Benning, Fort Bragg etc.) benannt wurden, um die nationale Einigkeit zu demonstrieren.

In den Jahren des Kalten Krieges wurde der Mythos der "verlorenen Sache" weiter ausgebaut. Verstärkt wurde die Kapitulation Robert E. Lees 1865 bei Appomattox in Virginia als Beginn der Versöhnung der beiden Landesteile zelebriert. "Wir sind alle Amerikaner", soll Ely Parker, ein Indianer im Stab des Nordstaatengenerals U. S. Grant, Lee mitgeteilt haben, der damit indirekt die Sache der Konföderation veredelte.

Offene Wunden

Unterschlagen wurde dabei jedoch meist, was ein Südstaatenoffizier einem Soldaten der Union am gleichen Tag der Kapitulation sagte: "In unseren Herzen ist eine Verbitterung, von der ihr nur träumen könnt! Wir hassen Euch, Sir!" Unterschlagen wurden auch zu oft die Verbrechen des Ku-Klux-Klans, die Lynchjustiz gegen Schwarze und die vielen Kleinkriege, die im Süden gegen nördliche Besatzungstruppen nach Appomattox geführt wurden.

Erst mit dem Ende des Kalten Krieges begannen sich die USA und der Süden langsam von der Legende "der verlorenen Sache" zu lösen. Das schleppende Verschwinden der Schlachtenfahne der Konföderierten ("Stars and Bars") und die Entfernung von Statuen von Konföderierten-Generälen sind Indizien dafür. Wie die jüngsten Ereignisse in Charlottesville zeigen, ist es jedoch noch ein langer, steiniger Weg, bis der Bürgerkrieg endgültig Geschichte ist. (Franz-Stefan Gady, 18.8.2017)