Jurassic Park im voluminösen Schmökerformat: In "Paläo-Art" kommt es zu interessanten Crossover-Momenten zwischen Naturforschung und Kunstgeschichte.
Illustration: Taschen-Verlag

In einem Land vor unserer Zeit lebten die Dinosaurier und ihre Zeitgenossen noch nicht in einem Park, sondern in freier Wildbahn. Sie atmeten eine Luft, von der die Wissenschaft einen recht guten Begriff hat, wie sie zusammengesetzt war (ein wenig sauerstofflastig), wie die Dinos aber genau aussahen, davon haben wir nur Skelette und Vermutungen. Und eine Unmenge von Bildern, von denen die Filme der "Jurassic Park"-Reihe nur die bekanntesten sind.

Tatsächlich haben sich die Menschen schon lange vorzustellen versucht, wie all die verschollenen Arten ausgesehen haben mögen. Eine junge Kunstkritikerin aus New York hat aus diesen Bildern nun ein Buch gemacht: "Paläo-Art", herausgegeben von Zoe Lescaze, ein Prachtband aus dem Hause Taschen, in dem man nun von der Pike auf nachvollziehen kann, wie die wissenschaftlich inspirierte Fantasie mit urzeitlichen Kreaturen umgegangen ist.

Die Anfänge

Um 1830 hat ein englischer Wissenschafter namens Henry Thomas de la Beche in Wasserfarben eine Szene gemalt, in der ein Vorfahr des Krokodils ein plumpes Flossenwesen vernascht. Die Hälfte dieser Urszene spielt unter Wasser, aber es gibt auch schon zwei Flugsaurier, die sich eine Luftschlacht liefern. Die Paläo-Art ist also selbst gar nicht paläo, sondern ein Kind der Moderne.

"Damit es Paläo-Art geben kann, muss man eine Idee davon haben, dass es eine Vorgeschichte gab, und darauf sind die Menschen erst im Lauf des wissenschaftlichen Zeitalters gekommen", erklärt Zoe Lescaze die relativ kurze Dauer des Zeitraums, aus dem die Bilder in "Paläo-Art" stammen. "Davor hat man sich die Knochenfunde noch mythologisch erklärt: Die gehörten dann zu Drachen oder Monstren. Erst Ende des 18. Jahrhunderts begann man, von der Möglichkeit ausgerotteter Arten zu sprechen."

Von Museumsdioramen zur Malerei

Die Begegnung mit Zoe Lescaze findet im Berliner Shop des Taschen-Verlags statt. Im Hinterzimmer, umgeben von prächtigen Drucken aus dem Buch, schwärmt Lescaze von einem Thema, dem sie schon als Kind verfiel. "Ich war Stammgast im Museum of Natural History in New York und habe dann auch meine Bachelorarbeit über Dioramen geschrieben." Dioramen, das sind diese Minithemenparks, mit denen die naturwissenschaftlichen Museen so etwas wie Vorläufer der heutigen Erlebniswelten schufen – urzeitliche Menschen um ein Lagerfeuer, das war einmal Museumspädagogik auf dem neuesten Stand.

Über die Paläo-Art kam Lescaze in Kontakt mit dem Maler Walton Ford, der den fantastischen Realismus der Tiermalerei immer wieder pointiert verfremdet und auf diese Weise ein Bestiarium geschaffen hat, das deswegen so unheimlich ist, weil darin auch Verhaltensweisen des Menschen erkennbar werden. Lescaze und Ford sind heute ein Paar.

Prominenter Paläo-Artist Zdenek Burian

Dass die Leidenschaft für Bronto-, Tyranno- oder Ichthyosaurier und das Gekreuch und Gefleuch, das zwischen ihnen nach Überlebensräumen suchte, immer auch sehr viel mit der jeweiligen Gegenwart zu tun hat, hebt Lescaze am Beispiel des Tschechen Zdenek Burian hervor, eine der interessantesten Figuren in "Paläo-Art":

"Burian hatte es nicht leicht als Kind, denn seine Eltern stritten viel, und es gab auch familiäre Gewalt. Seine Ausflucht bestand darin, dass er sich in die Hügel und Höhlen rund um seine Heimatstadt Koprivnice zurückzog. Irgendwie steckt etwas von den Spannungen im eigenen Zuhause drin, wenn er sich bis ins schreckliche Detail hinein später ausmalte, wie Hyänen auf urzeitliche Menschen losgingen. Außerdem darf man nicht übersehen, dass Burian in einem Jahrhundert der Gewalt lebte: Er war Zeitgenosse zweier Weltkriege und erreichte den Höhepunkt seiner Produktivität im Kalten Krieg."

Sich fremde Welten ausmalen

Das extreme 20. Jahrhundert, projiziert auf das Mesozoikum – so kann man sich seine Gegenwart auch zurechtlegen. Ein guter Teil des Appeals von Paläo-Art liegt sicher in dem Umstand begründet, dass sich hier auf eine sehr spannende Weise Science Fiction mit Mythologie verbindet. Ein "Game of Thrones" fand unter den pittoresken Arten zwar nicht statt, im Übrigen ging es aber in den Szenarien von damals um das Recht des Stärkeren und um die Frage, wie sich zerbrechlichere Wesen behaupten mochten.

Der Aspekt der Science Fiction wird wiederum vor allem durch die Möglichkeit betont, sich fremde Welten buchstäblich ausmalen zu können. Wobei es dabei zu interessanten Crossover-Momenten zwischen Naturforschung und Kunstgeschichte kam, wie Lescaze am Beispiel von Charles R. Knight feststellt, den sie mit Manet vergleicht, nur mit dem Unterschied, dass Knight eben keinen Löwenjäger malte, sondern ein Wesen, das als Smilodon geführt wird und das seine Stunde im Pleistozän hatte, also vergleichsweise historisch nur einmal um die Ecke, denn danach kam schon das Holozän, in dem wir uns jetzt noch befinden.

Und was würden Kreationisten sagen?

Die Zeiträume, mit denen eine Expertin für Paläo-Art zu tun hat, haben an sich eine Tendenz ins Fantastische. Deswegen leuchtet es Zoe Lescaze sofort ein, wenn man sie danach fragt, was wohl Kreationisten von ihrem Buch halten mögen – also Menschen, die daran festhalten, dass die Welt nur so alt ist wie in der Bibel festgehalten (rund 6000 Jahre). Lescaze muss lachen, als sie diese Idee kurz durchspielt. "Daran hatte ich noch gar nicht gedacht, aber natürlich könnten Kreationisten mit der Paläo-Art durchaus Politik machen. So nach dem Motto: Seht her, was für Ausgeburten der Fantasie in der angeblichen Vorgeschichte herumgelaufen sein sollen. Damit kann man auch die seriöse Wissenschaft in Misskredit bringen."

Das voluminöse Buch ist nicht nur vor diesem Hintergrund so etwas wie eine neue Arche für ganz alte Viecher, und Lescaze wäre dann fast so etwas wie ein neuer Noah. Dieser Vergleich macht aber nur Sinn, wenn man ihn mit der künstlerischen Freiheit anstellt, die in "Paläo-Art" zelebriert wird. (Bert Rebhandl, 19.8.2017)

Foto: Taschen Verlag