Ein Archäologenteam des Bundesdenkmalamtes legt die Fundamente des ehemaligen NS-Lagers offen.

Foto: Walter Müller

Graz – Mit Kellen, Schaufeln und anderem Grabungswerkzeug legen Archäologen seit einigen Wochen im Auftrag des Bundesdenkmalamtes ein Stück des alten Graz offen. Es sind manifeste Dokumente des schwärzesten Kapitels der steirischen Landeshauptstadt, die hier an die Oberfläche kommen: bauliche Überreste von Fundamenten des ehemaligen NS-Lagers im Wohnbezirk Liebenau.

Nicht hier, aber im Umkreis dieses Areals, in Bombentrichtern, werden noch immer verscharrte Leichen von Lagerinhaftierten vermutet. Archäologen schätzen: einige Dutzend bis einige Hundert. Man weiß es nicht, die fraglichen Stellen wurden bis heute nicht exploriert. Vielmehr wurde das Lagergelände in den 1950er- und 60er-Jahren großteils mit Wohnanlagen verbaut. Noch vor wenigen Monaten überbaute die Stadt eine Bunkerfundstelle mit einem Jugendzentrum.

Skelette unter Kindergarten

Beim Aushub des Kellers eines Kindergartens wurden vor Jahren in diesem Abschnitt Skelette gefunden, die Baustelle aber rasch zubetoniert. Der diesbezügliche Bauakt ist im Bauamt des Magistrates verschwunden.

Es war auch diesmal eine nicht geplante Aufdeckung der Geschichte, als Bagger dieses jetzige Lagergelände aushoben. Weil die Energie Steiermark die bestehende Schrebergartenanlage an der Mur für den Bau des Kraftwerkes benötigt, hat die Stadt Graz ein Ersatzgrundstück angeboten.

Ebenjenes, unter dem jetzt die Fundamente des ehemaligen NS-Lagers entdeckt wurden. Und auf diesen Resten des Lagerfundamentes sollen nun – baurechtlich bereits gedeckt – die Schrebergärtner ihre neue Siedlung bekommen.

"Arbeitslager wie jedes andere"

"Warum nicht?", heißt es im Büro des Grazer Bürgermeisters Siegfried Nagl, "wenn es ein KZ gewesen wäre, wäre die Situation natürlich eine andere, aber es war ein Arbeitslager wie andere auch. Die Fläche freizulassen wäre doch unsinnig, es ist ja rundum auch schon alles verbaut."

Der archäologische Leiter des Bundesdenkmalamtes, Bernhard Hebert, sieht die Sache ähnlich nüchtern. Da das ganze Areal schon in der Vergangenheit verbaut wurde, sei es schwierig, das aktuelle Terrain unter Denkmalschutz zu stellen – womit eine Verbauung unmöglich wäre.

Todesmärsche nach Mauthausen

Die Geschichte dieses historisch belasteten Wohnbezirkes hat die Historikerin Barbara Stelzl-Marx 2013 erstmals geschichtlich aufgearbeitet. Sie dokumentierte, dass in Graz zwischen 1942 und 1945 tausende Menschen als Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene im Lager untergebracht wurden. In den Akten ist auch von einem "Frauenarbeitslager" die Rede, ebenso von Zwangsabtreibungen und Euthanasie. 7000 bis 8000 ungarische Juden wurden hier gegen Kriegsende von Ungarn kommend kurzfristig inhaftiert, ehe sie in Todesmärschen nach Mauthausen getrieben wurden.

Parallel zu Stelzl-Marx hat der Mediziner Rainer Possert, animiert durch zahlreiche Gespräche mit Zeitzeugen, detailliertes Material und exakte Luftaufnahmen der Bombentrichter, in denen verscharrte Leichen vermutet werden, gesammelt.

"Endlich Klarheit schaffen"

Hebert schlägt im STANDARD-Gespräch nun vor, endlich Klarheit zu schaffen: "Es wäre sicher eine gute Idee, wenn alle an einem Strang ziehen und alle noch vorhandenen offenen Flächen des Lagers mittels Probebohrungen untersucht werden, um ein für alle Mal nachzuschauen, ob die Befürchtungen, dass hier noch menschliche Überreste vergraben sind, stimmen oder nicht. Sonst stehen wir jedes Mal vor demselben Problem, wenn etwa Wohnungen gebaut werden. Wer will schon schicke Appartements auf möglichen Massengräbern verkaufen?" Wenn die Stadt Graz die Initiative ergreife, "sind wir als Bundesdenkmalamt mit dabei".

"Wozu graben?", heißt es im Bürgermeisterbüro. Es seien bloß "bisher haltlose, völlig unbegründete Spekulationen eines Arztes". (Walter Müller, 20.8.2017)