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18 EU-Länder schlagen sich mit belasteten Eiern herum, im September auch die EU-Agrarminister.

Reuters

Wien – Die Holländer schlugen als Erste Alarm. Deutsche und Belgier waren die Nächsten. Auch die Österreicher und Schweizer konnten sich dem Skandal nur kurz entziehen, ehe er auf nahezu ganz Europa überschwappte. Mit dem Insektengift Fipronil belastete Eier zehren an den Nerven der Lebensmittelbranche. Das Thema kommt daher auch beim Treffen der EU-Agrarminister Anfang September auf den Tisch, zumal am Freitag in Brüssel mit Amitraz ein weiterer Giftstoff in der eingesetzten Desinfektionslösung Dega 16 nachgewiesen wurde. Doch die Erfahrungen aus den vergangenen Krisen lehren: Unter Konsumenten sitzt der Schock weniger tief.

Der Tanz ums Ei wirkt sich auf ihr Einkaufs- und Ernährungsverhalten wohl kurzfristig aus. Langfristig kehren sie nach Turbulenzen wie diesen aber rasch zu ihren alten Mustern zurück, ist Jörg Rieger überzeugt. Der Experte für Lebensmittelsicherheit des Thünen-Instituts in Braunschweig untersuchte in zwei Studien die Folgen des Dioxin-Skandals auf den Konsum von Schweinefleisch.

Sein Antrieb dabei: Wege zu finden, die Menschen erreichen, die auch bei hoher Gefahr im Verzug jedes Risiko ausblenden. Parallel dazu galt es Instrumente zu eruieren, die den Schaden für Produzenten und Händler gering halten, wenn betroffene Lebensmittel gesundheitlich unbedenklich sind.

Wachsendes Misstrauen

Die Zahl der Verbraucher, die sich durch einen Skandal stark in ihrem Kaufverhalten beeinflussen lassen, überwiegt jene, die darauf kaum reagieren. Lange hält dieser Effekt aber auch bei ihnen nicht an – noch kürzer wirkt er, wenn es um beliebte Alltagsprodukte geht.

Beruhigungspillen sind dies für viele Unternehmer freilich keine. Ob Fipronil, Dioxin, Ehec, Gammelfleisch oder Rinderwahnsinn: "Krisen wie diese führen langfristig zu einer verzerrten Wahrnehmung der Konsumenten, zu wachsendem Misstrauen und dem Gefühl, Industrie und Handel ausgeliefert zu sein", sagt Klaus Dürrschmid, Lebensmittelforscher der Wiener Universität für Bodenkultur. Menschen würden dabei Risiken, die sie selbst nicht beeinflussen können, um ein Vielfaches höher einschätzen, als jene, auf die sie meinen einwirken zu können. Was im Extremfall gar dazu führt, dass Essen subjektiv als riskanter empfunden wird als Autofahren.

Starke Diskrepanzen

Weit klafft auch die Beurteilung von Gefahren durch die durchschnittliche Bevölkerung und durch Experten auseinander: Österreichs Konsumenten fürchten in der Ernährung am häufigsten Pestizide, Zusatzstoffe und gentechnisch veränderte Organismen, zeigt der Risikoatlas der Agentur für Ernährungssicherheit. Fachleute sehen weitaus größere Risiken in Fehlernährung und pathogenen Mikroorganismen wie Salmonellen und Listerien. "Wichtigste Einzelmaßnahme, um die eigene Gesundheit zu verbessern", so Dürrschmid, "ist weniger Zucker und Alkohol." Bei aller Kritik an der Lebensmittelversorgung: Dass sie sicherer geworden sei, daran bestehe kein Zweifel. Betrug lasse sich aber nur bedingt verhindern.

Josef Sawetz, Kommunikationspsychologe an der Uni Wien, sieht bei Skandalen wie jenen rund um die Eier bei Konsumenten anstelle des Verstands Bauchgefühl und Emotion das Ruder übernehmen. Der Verstand greife bei sauberen, gut strukturierten Informationslagen, die nicht ambivalent und ohne Widersprüche seien. Treffe das nicht zu, delegiere er an die Emotion, ein Phänomen, das auch die Politik zu nutzen wisse. "Die Flut an Information, die auf den Einzelnen hereinprasselt, ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen und das Gehirn nicht dafür geschaffen, sie in dieser Dichte zu verarbeiten", sagt Sawetz.

Gefahr der Stereotype

Was dies für das aktuelle Dilemma der Lebensmittelbranche bedeutet: Zum einen darf sie auf die Vergesslichkeit ihrer Kunden vertrauen. Einzelne Eindrücke oder Belastungen werden in der Regel rasch von anderen überlagert.

Zum anderen neigen Menschen bei einer höheren Frequenz von Ereignissen dazu, Regeln abzuleiten, zu generalisieren und Stereotype zu schaffen, um Infos zu strukturieren und ihre Welt besser im Griff zu haben, erläutert Sawetz und vergleicht dies mit der Angst vor dem Terror. Rund um Eier bestehe also die Gefahr, dass das Misstrauen der Kunden vor anderen Bereichen nicht haltmache.

Belastbares Zahlenmaterial aus Österreich über die Folgen von Lebensmittelskandalen auf das Ein- kaufsverhalten gibt es laut Johannes Eckner vom Marktforscher GfK nicht. Überwiegend seien diese aber schnell vergessen worden.

Keine Schwankungen bei den Eierprodukten beobachten bisher auch Handelsketten wie Spar – anders als einst bei der Gurke, die fälschlicherweise als Ehec-Übeltäter galt. Ihr Absatz brach über Wochen ein, ehe der Verdacht auf andere Infektionsquellen fiel. (Verena Kainrath, 19.8.2017)