Am Ende doch ein Ende in Dur für Garry Kasparow.

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Wien/St. Louis – "Ich weiß nicht, wie ich mich nach der Partie gegen Navara wieder erholt habe. Es war ein Albtraum. Ich fürchte, es wird mich für den Rest meines Lebens verfolgen." So sprach Garry Kasparow, 13. Weltmeister der Schachgeschichte, nachdem er es endlich hinter sich hatte: Neun Runden Schnellschach und 18 Runden Blitzschach an fünf Tagen, gegen einige der weltbesten Spieler, manche davon nicht halb so alt wie der ehemalige Champ.

Kasparows Niederlage gegen die tschechische Nummer eins David Navara im Schnellschach hatte tatsächlich sogar beim Zuschauen weh getan. Zu klar gewonnen war die Stellung des Ex-Weltmeisters, zu deutlich schien die Art, in der Kasparow ausgekontert wurde, darauf hinzuweisen, dass er sich nicht mehr annähernd auf der Höhe seines schachlichen Könnens befindet.

Idol der Jugend

"Ich fühle mich, als hätte mich jemand in den Magen geschlagen – und dabei habe ich nicht einmal selber gespielt!" Kommentator Maurice Ashley brachte die Stimmung vieler Beobachter auf den Punkt. Von den, laut Veranstalter, etwa eine Million Live-Zuschauern hatte natürlich der Löwenanteil wegen Kasparows Comeback eingeschaltet. Für viele heute erwachsene Schachspieler ist Kasparow das Idol ihrer Jugend- oder Kinderjahre. Ihn so untergehen zu sehen, tat körperlich weh.

Unter diesen Vorzeichen waren die Hoffnungen, dass der Maestro sich im Blitzschach stabilisieren oder gar zu großer Form auflaufen würde, verständlicherweise gering. Da Kasparow im Schnellschach große Probleme mit seiner Zeiteinteilung gehabt hatte, ihm gleichsam die "Reflexe" abhanden gekommen zu sein schienen, durfte man sogar einen noch schlimmeren Einbruch erwarten.

Aber erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Zwar rollte der Turniersenior das Feld nicht gerade von hinten auf, das nun auch wieder nicht. Trotzdem schien Lewon Aronjan Recht zu behalten, der gemeint hatte, Kasparow werde das Blitzen leichter fallen, dort sei er dann nämlich gezwungen, schneller und intuitiver zu spielen. "Er wird ein paar schöne Partien gewinnen." Und das tat Kasparow dann auch, vorwiegend am letzten Tag des Events. Mit Fabiano Caruana und Hikaru Nakamura bezwang er unter anderem das halbe US-amerikanische Olympiateam. Besonders der Sieg gegen Red Bull-Werbeträger Nakamura, dessen Blitzschach-Qualitäten legendär sind, dürfte Kasparow und seinen zahlreichen Fans äußerst wohl getan haben.

Ein letztes Mal Najdorf

Mit einem Schwarzsieg in seiner geliebten Najdorf-Variante gegen den Kubaner Leinier Dominguez und Platz fünf in der Blitzwertung schloss der einstige Meister aller Klassen sein Comeback doch noch irgendwie versöhnlich ab, auch wenn seine Unterlegenheit im Schnellschach sichtlich Spuren an Kasparows Selbstbewusstsein hinterlassen hatte. Während des Turniers erreichte und verließ er die Spielstätte ausschließlich über Hintertreppen, Kontakt mit Medienvertretern und Fans versuchte der offenbar um seine Konzentration besorgte so weit wie möglich zu meiden.

Als aber alle Schlachten geschlagen waren, Lewon Aronjan die Gesamtwertung und Blitzweltmeister Sergei Karjakin die Blitzwertung für sich entschieden hatte, vertraute der Ex-Weltmeister Kommentator Maurice Ashley dann doch noch an, dass er während des Turniers zur Aufmunterung wie in alten Tagen mit seiner Mutter telefoniert hatte. "Spiel heute eine einzige gute Partie", habe sie zu ihm gesagt. "Ja, das mache ich", habe er geantwortet. Und siehe da, es ist ja dann doch mehr als nur eine geworden. (Anatol Vitouch, 19.8. 2017)