Fünf Jahre, da hast du aber ordentlich ausgefasst. Das hab ich in der Haft oft gehört, viele haben das gesagt. Und ich denke mir schon auch, dass die Strafe streng war und dass sie an mir ein Exempel statuiert haben. Aber ich hab mich weder drinnen noch nachher beschwert. Die Jammerei liegt mir nicht. Wenn du eingesperrt bist und dich bemitleidest, kommst du nicht weiter.

"Ich war drei Jahre und fünf Monate lang eingesperrt. 41 Monate. Das Schlimme war die lange U-Haft."

Ich war drei Jahre und fünf Monate lang eingesperrt. 41 Monate. Das Schlimme war die lange U-Haft, das waren 33 Monate. Vom Strafvollzugsgesetz her ist prinzipiell einiges möglich. Aber in U-Haft hast du keinen Ausgang, da gibt es gar nichts. Ich hatte monatelang nicht einmal eine Telefonerlaubnis. Mein großes Pech war, dass der Instanzenweg so lange gedauert hat.

Sanel Kuljic im August 2017: "Wie hat mir das passieren können? Ich bin an allem selber schuld."
Foto: Standard/Regina Hendrich

Nach den 33 Monaten hab ich Ausgänge bekommen, kurz darauf war ich Freigänger. Ich bin in Graz geblieben, hab dort gearbeitet. Freigang heißt, du gehst draußen arbeiten. Entweder du hast eine Firma oder du bringst eine Firma, bei der du arbeiten kannst. Vorher war ich Hausarbeiter, dann war ich für eine Metallfirma tätig. Wenn du dort um sieben Uhr beginnst und um 15 Uhr aufhörst, kommt vorher und nachher Wegzeit dazu. Dann gehst du um sechs Uhr bei der Türe raus und musst um 16 Uhr wieder zurück sein.

Eine Freistunde pro Tag kommt dazu, aber die kannst du dir auch aufheben. Es sind sieben Freistunden in der Woche, wobei ich maximal drei Stunden auf einmal nehmen konnte. Da hab ich oft Stunden angesammelt, um am Samstag drei Freistunden am Stück zu haben. Zusätzlich gab es acht längere Ausgänge im Quartal. Ich hab da sechs Zweitäger und zwei Dreitäger gekriegt. Bei diesen Ausgängen bin ich fast immer mit meiner Partnerin nach Wien gefahren. Wir haben gar nicht viel unternommen, sind spazieren gegangen. Manchmal war ich Schwimmen. Du machst Dinge, die drinnen nicht gehen. Du liegst lange in der Badewanne. Nichts Besonderes. Das Normale ist da schon etwas Besonderes.

Mein Leben war ein Chaos

Ab und zu werde ich auf die Geschichte angesprochen, und dann hab ich wieder diese Frage im Kopf. Wie hat mir das passieren können? Ich bin an allem selber schuld. Mein Leben war zum Schluss ein Chaos. Ich hab viel verdient. Ich hab viel ausgegeben. Ich hab viel hergeborgt. Ich hab viel hergeschenkt. Natürlich hab ich selbst viel gebraucht, da gibt es nichts zu beschönigen. Ich hab mit Geld nicht umgehen können.

"Jammern hilft nichts. Drinnen sieht man das öfter, dass einer nur jammert. Der kommt dann in eine Negativspirale."

Ich habe viele Fehler gemacht, auch in der Karriere. Ich habe ein Angebot von Salzburg ausgeschlagen, so dumm musst du erst einmal sein. Ich bin, obwohl es dort gut gelaufen ist, von Sion weggegangen, weil ich mit dem Präsidenten gestritten hab. Ich war stur.

Sanel Kuljic brachte es auf 20 Spiele und drei Tore für die österreichische Nationalmannschaft.
Foto: APA/Artinger

Der Hannes Krawagna war mein Trauzeuge. Er und der Hannes Winklbauer, zwei Salzburger Sportjournalisten, sind mir immer zur Seite gestanden. Leider habe ich nie auf die zwei gehört. Meine Ehe ist in der Haft geschieden worden. Zu den Kindern gab es lange keinen Kontakt, zur Tochter gibt es immer noch keinen. Natürlich ist das bitter. Mein Sohn ist irgendwann wieder auf mich zugekommen, da passt das Verhältnis wieder.

Die jetzige Lebensgefährtin habe ich schon vor der Haft kennengelernt. Die ist zu mir gestanden. Das ist mehr wert als alles andere. Sie und meine Mutter haben mir oft leidgetan. Aber Jammern hilft nichts. Drinnen sieht man das öfter, dass einer nur jammert. Der kommt dann in eine Negativspirale, das bringt keinen weiter. Das drückst du nicht durch.

41 Monate, das ist eine lange Zeit. Dein Tagesablauf hängt davon ab, mit wem du in der Zelle bist. Die einen schlafen länger, die anderen stehen zeitiger auf. Wenn ein Neuer kommt, ist das meistens eine Umstellung. Du musst dich oft anpassen. Drinnen hast du überhaupt keine Privatsphäre.

Ein paar Monate lang war ich allein in der Zelle. Viele sagen, sie könnten das nicht, aber für mich war das die schönste Zeit. Da hat man mehr Privatsphäre. Man hat halt keinen zum Reden. Aber das war mir eh nicht so wichtig. Ansonsten war ich meistens mit zwei anderen in der Zelle. Das sind Zweckgemeinschaften, aber es entstehen auch Freundschaften. Du darfst dich nicht zu sehr öffnen.

Es gibt Leute, zu denen ich mehr Zugang hatte. Zum Beispiel den Peter. Das war ein Bankräuber und Mörder, der hat schon einmal 'lebenslang' gekriegt, ist rausgekommen nach zwanzig Jahren, war sieben Jahr straffrei. Aber es ist nicht so einfach, wenn du so lange weg bist. Er hat wieder keinen anderen Ausweg gesehen. Dann war der Peter bei mir in der Zelle, auch wieder wegen Bankraubes. Das war oder das ist ein herzensguter Mensch. Der ist Mitte, Ende 60 und zuckerkrank. Den hat man nicht einmal jammern gehört, nichts, null.

Wir haben viel gelacht

Und dann der Günther. Ein Sturm-Graz-Fan. Wir waren beide Hausarbeiter. Mit dem hab ich mich super verstanden. Circa drei Monate lang war der Hannes Kartnig mit dem Günther und mir in der Zelle. Das war angenehmer als mit den meisten anderen. Wir haben uns Geschichten erzählt, viel gelacht. Man darf ja den Humor nicht verlieren.

"Ich habe "Auf Wiedersehen" gesagt, die Beamten haben "Hoffentlich nicht'" gesagt. Ein Klassiker."

Die letzten drei Monate hab ich unter Fußfessel gemacht. Da wohnst du daheim. Du hast das Gerät. Du musst um eine bestimmte Zeit zur Arbeit gehen und um eine bestimmte Zeit wieder zurück sein. Viele glauben, die Fußfessel ist eine lockere Sache. Das ist sie nicht. Mit der Fußfessel gibt es keine Ausgänge. Du kommst nie raus, auch am Wochenende nicht. Du kannst nicht einmal hinaus, wenn du etwas im Auto vergessen hast. Bei der Geburt meines zweiten Sohnes war ich dabei, dafür haben sie mir einen außerordentlichen Ausgang bewilligt.

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Auch in der Schweiz verdiente Sanel Kuljic sein Geld als Fußballprofi. Bei Sion und Xamax Neuchatel (Foto).
Foto: Reuters/Lauener

Ende März bin ich rein, hab die Fußfessel abgegeben und bin wieder gegangen. Ich habe "Auf Wiedersehen" gesagt, die Beamten haben "Hoffentlich nicht" gesagt. Ein Klassiker. Nicht nur der erste Tag ist mir seltsam vorgekommen. Ich war zwei Monate lang wie in einem Schwebezustand. Ich kann es gar nicht richtig beschreiben. Es war auch gar nicht so, dass ich mich irrsinnig gefreut hätte.

Vom Fußball habe ich schon einiges mitgekriegt drinnen. Als sie vor der EURO alles gewonnen haben, hab ich mir einige Spiele angeschaut. Da kriegst du mit, welche Euphorie da unter den Fans geherrscht hat. Und dann merkst du auch wieder, welchen Scheiß du gebaut hast. Da hab ich schon manchmal den Film zurückgespult und gedacht, wie schön das Leben vorher gewesen ist.

Ich bin keine Legende

In der U-Haft haben wir nur sehr selten ein bisserl gekickt. Das Fußballspielen ist mir gar nicht so abgegangen. Jetzt spiel ich bei ASV Baden, Zweite Klasse Triestingtal, also ganz unten. In der ersten Runde, beim 1:0 gegen Klausen-Leopoldsdorf, hab ich nur zugeschaut. Ich hab bis jetzt kaum mittrainiert, und es ist die Frage, wo ich körperlich stehe. Mir fehlt noch die Luft. Mit dem Rauchen hat das, glaube ich, aber nichts zu tun. Geraucht hab‘ ich immer schon – vor dem Match, nach dem Match. Manchmal hab‘ ich mich sogar in der Pause versteckt und mir da heimlich eine angezündet.

Vor kurzem, am Feiertag, hat es ein traditionelles Turnier mit einer Legendentruppe und anderen Teams gegeben. Da habe ich schon eine Zeitlang mitgespielt. Natürlich bei Baden, nicht bei den Legenden. Ich bin keine Legende. Ich freu mich wieder richtig aufs Kicken. Das verlernt man ja nicht.

Auch mein 17-jähriger Sohn spielt jetzt in Baden. Den Markus Pospichal, der dort Obmannstellvertreter ist, kenne ich schon lange. Der Markus ist in der Bau- und Immobilienbranche. Er will mir helfen, dass ich da vielleicht Fuß fassen kann.

Der Kreis der Freunde ist kleiner geworden, darüber bin ich sogar froh. Und so, dass sich keiner mit mir zeigen will, ist es auch wieder nicht. Mich sprechen viele auf der Straße an. Negatives Erlebnis hab ich da noch keines gehabt. Ich bin entspannt. Ich muss abwarten. Ich bin zurzeit beim AMS. Ich kriege Arbeitslosengeld. Es ist nicht so einfach. Ich bin erst seit vier Monaten draußen. (21.8.2017, Zugehört und aufgezeichnet hat Fritz Neumann)