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Doğan Akhanlı bei einem Literaturfestival in Köln im März.

Foto: Henning Kaiser/dpa via AP

Madrid/Berlin/Ankara – Nach knapp 30 Stunden ist der Spuk erst einmal vorbei. Der deutsch-türkische Schriftsteller Doğan Akhanlı kam Sonntagmittag in Madrid nach einer Gerichtsanhörung vorläufig frei. Seine Festnahme hatte die politischen Spannungen zwischen der Türkei und Deutschland erneut verschärft.

Akhanlı war am Samstagmorgen während eines Urlaubs in seinem Hotel in Granada von der spanischen Polizei festgenommen worden. Gegen den 60-jährigen in Köln lebenden Schriftsteller lag ein offenbar geheimer Dringlichkeitsvermerk der türkischen Justiz bei Interpol vor.

40 Tage Zeit für Auslieferungsantrag

Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel schaltete sich am Samstag persönlich in den Fall ein und bat seinen spanischen Kollegen Alfonso Dastis, den Schriftsteller nicht an die Türkei auszuliefern. Ankara hat nun 40 Tage Zeit, einen Auslieferungsantrag zu stellen. Vonseiten der spanischen Polizei verlautete, die Türkei bezichtige Akhanlı, der ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation. Es ist mittlerweile der Standardvorwurf der türkischen Justiz gegen mutmaßliche Putschisten wie gegen Oppositionspolitiker und Regierungskritiker in Medien und Kultur.

Akhanlı ist der zweite bekannte regierungskritische Schriftsteller, den die türkische Regierung seit dem Putschversuch und der Verhängung des Ausnahmezustands festnehmen ließ. Asli Erdoğan war im vergangenen Jahr vier Monate in Untersuchungshaft, bis sie unter Auflagen freigelassen wurde. Auch Erdoğan – sie ist nicht mit dem Staatspräsidenten verwandt – wird Unterstützung von Terrororganisationen vorgeworfen. Anfang August nahm die spanische Polizei in Barcelona bereits den türkisch-schwedischen Journalisten Hamza Yalçın fest; auch gegen ihn hatte Ankara ein Ersuchen bei Interpol deponiert.

Einmischung in den Wahlkampf

Akhanlıs Festnahme löste in Deutschland erheblichen Wirbel aus. Sie folgte unmittelbar auf einen anderen Streit, den der türkische Staatschef am Freitag losgetreten und am Samstag noch fortgesetzt hatte: Tayyip Erdoğan rief zunächst die türkischstämmigen Wahlberechtigten in Deutschland auf, bei der Bundestagswahl im kommenden Monat nicht für die Christdemokraten, die SPD und die Grünen zu stimmen; sie seien alle "Feinde der Türkei". Erdoğans Aufruf kam einem Wahlboykott gleich, da alle größeren Parteien – auch die Linke und die FDP – scharfe Kritik an Erdoğans autoritärer Herrschaft üben.

In Deutschland gibt es nach Angaben des auf Minderheiten spezialisierten Meinungsforschungsinstituts Data4you in Berlin 1,25 Millionen türkischstämmige Wahlberechtigte. Sie stimmen bisher mehrheitlich für die SPD und für die Grünen. Die Unionsparteien kommen in der Regel auf weniger als zehn Prozent.

Erdoğan rügt Gabriel

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Gabriel verbaten sich Erdoğans Einmischung in den Wahlkampf. Dieser legte in einer Rede am Wochenende noch nach und griff Gabriel persönlich an: "Wer bist du denn, dass du mit dem Staatspräsidenten der Türkei sprichst? Rede mit dem Außenminister der Türkei! Kenne deinen Platz!"

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz holte in einem Interview mit dem Boulevardblatt "Bild am Sonntag" zum Gegenschlag aus. Schulz nannte Akhanlıs Festnahme einen "ungeheuerlichen Vorfall". Erdoğans Verhalten trage schon "paranoide Züge".

Sebastian Kurz und Christian Kern stimmten in den Chor der Türkeikritiker ein. Außenminister Kurz warnte Ankara in einem Interview mit der "Welt" vor einer Einmischung in den Nationalratswahlkampf; Kanzler Kern nannte Akhanlıs Festnahme im Ausland einen "neuerlichen Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen der EU und der Türkei".

Keine öffentlich einsehbaren Anträge

Bei Interpol gibt es derzeit keine öffentlich einsehbaren Anträge der türkischen Justiz auf Festnahme von Personen. Allerdings können diese Ansuchen auf Amtshilfe als sogenannte rote Ausschreibung auch geheim bleiben und nur Polizei und Einwanderungsbehörden der Mitgliedsländer von Interpol bekannt sein. Dies war offensichtlich der Fall bei Doğan Akhanlı.

Eine oppositionelle türkische Nachrichtenseite hatte vergangenen Juli berichtet, Interpol hätte der Türkei für fast ein Jahr den Zugang zur Datenbank gesperrt, nachdem Ankara dort nach dem vereitelten Putsch vom Juli 2016 eine Liste mit 60.000 Festnahmeanträgen abgespeichert hätte. Bei den Gesuchten soll es sich um Personen mit angeblichen Verbindungen zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen gehandelt haben. Ein Sprecher von Interpol in Lyon dementierte den Bericht, erklärte aber, dass Ausschreibungen mancher Länder, etwa wegen mangelnder Dokumente, abgelehnt worden seien.

Warten auf Öksüz

Ankara hatte vergangene Woche eine diplomatische Note an die deutsche Bundesregierung gesandt und auf Nachforschungen und gegebenenfalls die Auslieferung eines Hauptverdächtigen des Putschs vom Vorjahr gedrängt. Adil Öksüz, ein 50 Jahre alter Theologiedozent, soll den Staatsstreich auf Anweisung des Predigers Fethullah Gülen geplant haben. Öksüz war in der Putschnacht als Zivilist auf einem Luftwaffenstützpunkt nahe Ankara, der als das Koordinationszentrum der Putschisten diente.

Die türkische Regierung will nun Hinweise haben, dass sich Öksüz in Deutschland aufhält. Bekir Bozdağ, einer der stellvertretenden türkischen Regierungschefs und bis vor kurzem Justizminister, zeigte sich am Wochenende enttäuscht über die deutschen Behörden. Er habe im Fall Öksüz bisher keine positive Antwort aus Deutschland erhalten, sagt Bozdağ am Samstag bei einem Auftritt in der anatolischen Provinz. (Markus Bernath, 21.8.2017)