Beim letzten Mal tobten in Europa die Schlachten des Ersten Weltkriegs, im Weißen Haus residierte der Präsident Woodrow Wilson, in New York war das Empire State Building noch nicht gebaut. 99 Jahre ist es her, dass die USA eine totale Sonnenfinsternis erlebten, die quer durchs Land zu beobachten war. Am Montag wiederholt sich das Spektakel, so berechenbar wie die Tatsache, dass alle vier Jahre Präsidentschaftswahlen stattfinden.

Um 10.16 Uhr Westküstenzeit (19.16 Uhr MESZ) wird sich der Mond über Lincoln Beach in Oregon vollständig vor die Sonne schieben. Um 14.48 Uhr Ostküstenzeit (20.48 Uhr MESZ) wird die "Total Eclipse" über amerikanischem Festland auf der Höhe von McClellanville, South Carolina, beendet sein.

Wetter muss mitspielen

Von Lincoln Beach bis McClellanville zieht sich ein etwa 110 Kilometer breiter Korridor, in dem sich das Drama in seiner ganzen Eindrücklichkeit verfolgen lässt – vorausgesetzt, das Wetter spielt mit. Und Hopkinsville, eine Kleinstadt in Kentucky, wird Eclipseville sein, der Ort, an dem die Finsternis am längsten andauert. Zwei Minuten und 40 Sekunden.

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In Hopkinsville, pardon, Eclipseville, nimmt auch eine Baptistenkirche zur Sonnenfinsternis Stellung: "Ohne Gott wird Ihre Dunkelheit zwei Minuten, 40 Sekunden überschreiten!"
Foto: Getty / Scott Olson

Carter Hendricks, der Bürgermeister, rechnet mit 100.000 Schaulustigen, das wäre gut das Dreifache der Einwohnerzahl. Bereits vor zehn Jahren hat Hopkinsville begonnen, sich auf den Ansturm vorzubereiten. Unter anderem wurde der kleine Flughafen erweitert. Hotels sind seit langem ausgebucht, das nächstgelegene Motel, das noch Zimmer anbietet, vierzig Kilometer entfernt, verlangt fast 400 Dollar pro Nacht.

Von Hopkins- zu Eclipseville

Hendricks verspricht sich schöne Bilder und bleibende Schlagzeilen, und um den Hype noch ein wenig anzuheizen, haben sie im Rathaus beschlossen, den Namen der Stadt vorübergehend zu ändern, urkundlich verbrieft. Viele hätten ja schon angefangen, von Eclipseville zu reden. In den Zeitungen sehe man ständig Eclipseville-Überschriften, "da wollten wir auch ein wenig Spaß haben", sagt Hendricks. "Also haben wir entschieden, uns zu Eclipseville, U.S.A., zu proklamieren."

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Auch in Carbondale, Illinois, ist man bereit.
Foto: AFP/GETTY IMAGES/SCOTT OLSON

In Wickliffe, zwei Autostunden weiter westlich, sehen sie das anders. Ursprünglich wollte der Bürgermeister mit Flugblättern für die geografische Ausnahmestellung werben. Bei Wickliffe mündet der Ohio River in den Mississippi, außerdem treffen in der Nähe drei Bundesstaaten aufeinander – Illinois, Kentucky und Missouri. "Sehen Sie drei Staaten, zwei Flüsse und eine Sonnenfinsternis", wollte George Lane auf bunte Infoblätter drucken lassen.

"Wir sind einfach nicht gerüstet"

Aufgrund der eher bescheidenen Infrastruktur eines Dorfes mit 670 Einwohnern, das über kein einziges Hotel verfügt, machte er einen Rückzieher. Angesichts der Besucherprognosen sei ihm bange geworden, räumte er in der New York Times ein. "Wir sind einfach nicht gerüstet, um damit fertigzuwerden." Ergo: keine Reklame.

Sonnenfinsternis-Bier gefällig?
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Ansonsten aber hat der Trubel um die "große amerikanische Finsternis" Dimensionen angenommen, die sogar den Dauerwirbel um Donald Trump in den Schatten stellen, zumindest wohl für 24 Stunden. Von einem Woodstock der Astronomie ist die Rede, von einem Fest, das Erinnerungen an das legendärste Festival der Musikgeschichte wecke. Im Sommer 1969 habe Amerika bewegte Zeiten durchgemacht, heute sei es ganz ähnlich, argumentieren die Vertreter der Woodstock-These. Damals die Proteste gegen den Vietnamkrieg, heute die Turbulenzen um Trump: Die große Eklipse biete die Chance, sich für ein paar Tage darüber zu erheben.

Der Traum vom Raketeningenieur

Phil Nicholson, Astronomieprofessor an der Cornell University, erhofft sich Effekte wie nach der Mondlandung. Als Neil Armstrong seinen Fuß auf den Erdtrabanten setzte, schreibt er in einem Aufsatz, hätten alle in den Himmel geschaut. Das Erlebnis habe zahllose Kinder von einer Karriere als Raketeningenieur träumen lassen, "viele wollten Mathematiker werden, die Flugbahnen berechnen, oder Astronauten, die in der Schwerelosigkeit Experimente durchführen".

Er wisse das, er sei einer der Träumer gewesen, fügt Nicholson hinzu und schlägt den Bogen zum Jahr 2017. Plötzlich sei es wieder en vogue, sich mit Umlaufbahnen von Planeten, dem Schatten des Mondes oder der Korona der Sonne zu beschäftigen. "Kinder quer durchs Land", freut sich der Professor, "sehen Wissenschaft in Aktion." (Frank Herrmann aus Washington, 21.8.2017)