Friederike Mayröcker träumte einen Ameisenbär, Bernhard Majcen und Maria Moncheva brachten ihn in Plüsch auf die Bühne.

Foto: Barbara Amplatz

Semmering – Oper! heißt die "poetische Bühnenkomposition" irreführend, aber auf Wunsch der Autorin. Und wer könnte Friederike Mayröcker einen Wunsch abschlagen. Die Grande Dame der österreichischen Literatur hat für den Kultur.Sommer.Semmering eine Textvorlage geliefert, da sagt man nicht Nein. Zum Teil trägt die Stimme der 92-Jährigen selbst – allerdings vom Band – die Worte durch das dortige Kurhaus. Die großen Motive und Leitlinien ihres Dichterinnenlebens bietet sie in den Textfetzchen auf.

Es geht etwa um Einsamkeit, ums Altern, um die Angst vor dem "endgültigen Abschied". Trocken raschelnde Zweige sowie sich am Wasser in ihren Vasen volltrinkende Flieder- und Hortensienblüten als Metaphern für diese existenziellen Zustände schmücken nicht nur den Text, sondern als Ausstattung auch den sonst kargen Spielort.

Dazu gesellen sich scheinbar banale Wahrnehmungen des Alltags, der sich in der Heckscheibe des Wagens vor dem Haus spiegelnde Himmel etwa. Oder – nicht zu unterschätzen! – das nahende Lektüreende von Jacques Derridas Glas. Bekümmert fragt die Autorin sich: Was dann lesen?

"Tschinderassa Requiem"

Schon vor der Vorstellung ertönen elektronisch-perkussive Sounds: ungreifbar, unruhig, nur ja keine gefällige Melodie. Das ändert sich. Von Musik und Tanz umspült, zuweilen auch überschwemmt wird der Text während der 90-minütigen Aufführung. Das Ensemble Mischwerk bedient nicht nur Klarinette, Geige, Gitarre, Akkordeon, Saxofon und Kontrabass fabelhaft: Maria und Helmut Stippich, Nikolai Tunkowitsch und Reinhard Uhl klingen auch vokal äußerst wohl.

Ihre Livedarbietung referiert zuweilen auf konkrete Nennungen im Text, etwa des Komponisten Skrjabin. Daneben remixt das Quartett Strauss' Salome, improvisiert über John Cage, auch Variationen von Schubert, Brahms und Eigenkompositionen von Helmut Stippich erklingen. Das ist lyrisch, schwelgerisch, getragen, stimmungsvoll. Ein Treffen der Requiems Mozarts und Verdis mit Klezmer-Musik, genannt Tschinderassa Requiem, gerät zum Abschluss herrlich temporeich.

Die inszenatorische Idee von Bauscheinwerfern auf dem Boden zur Beleuchtung trägt wohl auch dem Kurhaus als Ort Rechnung, der sonst leersteht. Den Bau ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt ebenso ein kurzer Raumwechsel nach nebenan: Auf einer Empore singen die Musiker dort ein Kyrie.

Zusammenfügen, was geht

"Vielleicht ist das Schreiben so etwas wie das Ansetzen von Dominosteinen", heißt es im Text einmal, jenen selbst thematisierend, von einem "Wuchern von Assoziationen" ist ein andermal die Rede, dann steht die Frage einer "Poesie der überstürzten Gedanken" im Raum, dann benennt Mayröcker "diese meine Manier zwischen Figürlichkeit und Abstraktion". All das macht die darstellerische Aufbereitung ihrer Zeilen gewiss nicht einfach.

Semioriginell daher mancher Einfall von Regisseur Otto Brusatti: zum Beispiel, dort, wo es heißt, "ein junger Passant trägt Entenjunges im Arm", Schauspieler Bernhard Majcen ratternd eine hölzerne Tigerente auf Rollen herumziehen zu lassen. Bei der Stelle "habe die Kusskrankheit" drückt Majcen dem Publikum Bussis auf die Wangen. Maria Moncheva verkörpert das schreibende Ich tänzerisch. Zu ebener Erde und in einem von der Decke hängenden Ring vollzieht sie ein Schauturnen, klemmt sich auch bunte Tülltüchlein an den Körper. Das zu Sehende bereichert das zu Hörende mal mehr und mal weniger. (Michael Wurmitzer, 20.8.2017)