Die Silhouette ist Programm.

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"Guardian"-Journalist Freedland alias Sam Bourne.

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Wien – Zehn Sekunden bis Armageddon. Montag, 3:20 Uhr. Robert Kassian, der nationale Sicherheitsberater des neu gewählten amerikanischen Präsidenten, schreckt aus dem Schlaf auf. Sein Handy vibriert. Es ist der Anruf, vor dem sich Washington ängstigt. Am anderen Ende der Leitung: der Situation Room im Weißen Haus.

Der seit kurzem amtierende US-Präsident, der sein gesamtes außenpolitisches "Wissen" aus dem Fernsehen bezieht, hat sich in den Stunden zuvor durch Talkshows gezappt, bei denen er, infolge von Verlautbarungen aus Nordkorea von Kommentatoren als Feigling bezeichnet, einen Wutanfall bekam.

Schäumend ist er in die Kommandozentrale gestürmt und brüllt, Atomraketen auf Pjöngjang abzufeuern. Jetzt! Sofort! Eine Diskussion: nicht notwendig. Kassian rast ins Weiße Haus. Gegen Worte ein Nuklearschlag? Wegen einer narzisstischen Kränkung der Dritte Weltkrieg? Nur einem nachgeordneten Leutnant gelingt es, zehn Sekunden vor dem Abschuss mit einer coolen Rückfrage den Präsidenten mit der seltsamen Föhnfrisur abzukühlen.

Infantilität und Konspiration

Kassian und Verteidigungsminister Jim Bruton sitzt der Schreck noch Tage später in den Knochen. Sie sehen nur eine Möglichkeit: diesen infantilen Mann als unzurechnungsfähig deklarieren. Was nicht schwer sein dürfte. Doch der Leibarzt des Präsidenten weigert sich. Und so bleibt nur die Alternative – den Präsidenten töten, to kill the President, wie Sam Bournes Thriller im Original heißt.

Einen Tag später ist ein anderer tot, der Mediziner. Mit der Untersuchung wird das Büro des Rechtsberaters des Präsidenten betraut. Weil der Rechtsbeistand permanent abwesend ist, übernimmt Maggie Costello. Sie ist das letzte Überbleibsel aus der vorherigen, liberalen Regierung.

Einzig dem Recht verpflichtet, deckt sie Schritt für Schritt eine Verschwörung auf, den geplanten Mord am Präsidenten. Der aber schiefgeht, und zwar absichtlich. Dies aber nicht, weil Kassian und Bruton (servus, Cäsar-Mörder!) die falschen Leute ausgesucht haben.

Kein neues Genre

Nun sind Präsidentenattentate in Buchform nicht neu. Nicholson Bakers Roman Checkpoint kreiste 2004 darum, George W. Bush zu erledigen (mittels fliegender Sägen in CD-Form und Voodookugeln). Frederick Forsyth setzte 1971 mit dem Töte-de-Gaulle-Roman Der Schakal ein Genre-Ausrufezeichen. Jeffrey Archer ließ 1977 in Das Attentat Edward Kennedy ins Weiße Haus einziehen und ums Haar erschießen. Und in Dead Zone – Das Attentat (1979) machte Stephen King aus einem Präsidentenmord einen patriotischen Akt.

Aber so schnell wie Sam Bourne und sein Politthriller Der Präsident war noch keine Präsidentenfiktion. Geschmeidig gibt er ein satirisches Zerrbild wieder. Das sich ganz real bis vulgär erfüllt hat. Inklusive aller konspirativen Winkelzüge in den Korridoren und Sackgassen der Macht.

Schließlich weiß der Romannichterfinder, wovon er schreibt. Zumindest als Jonathan Freedland weiß er es, als mehrjähriger Washington-Korrespondent und Kolumnist der Tageszeitung The Guardian. Unter dem Pseudonym Sam Bourne (hallo, Robert Ludlum!) hat Freedland bisher fünf, mal mehr (Die Gerechten), mal weniger (Intervention) gelungene Spannungsromane geschrieben.

Böse und weniger Böse

Dass das Erzählmuster – Verschwörung, gute Ermittlerin Costello, schon bekannt aus Bournes Das letzte Testament (2007) und Der Gewählte (2010), weniger Böse plus ganz Böse – vertraut ist, eh klar. Dass die Dramaturgie holzschnittartig ist, geschenkt.

Schließlich ist genau so die aktuelle Realitätsverarbeitung im Oval Office auch. Dass das Ganze schnittig erzählt ist, mit mehr als nur einer Überraschung, muss sein. Eines aber hebt das Buch über die Durchschnittsware. Verhandelt doch dieser Krimi Moral und Ethos. Und das ist in Washington derzeit abgrundtief suspekt. (Alexander Kluy, 22.8.2017)