Der Staat Österreich weiß immer weniger über die Zahl der Gläubigen im Land, egal welcher Religion sie angehören.

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Wien – Religion ist Privatsache. Aber auch in einem Land wie Österreich, wo man dieses Prinzip hochhält, ist die Frage des Glaubens politisch brisant. Denn aufgrund von Kirchenaustritten, Einwanderung und Fluchtbewegung hat sich die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten zunehmend diversifiziert – auch religiös. Das führt zu neuem Forschungs- und Politikbedarf, etwa um treffsichere Integrationsmaßnahmen zu entwickeln, die Glaubensangelegenheiten mit einschließen.

Derlei Plänen sollte Wissen über Größe und Mitgliederstärke der Religionsgemeinschaften zugrunde liegen. So wie es einer kürzlich veröffentlichten Studie des Vienna Institute of Demography der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und des Österreichischen Integrationsfonds zu entnehmen ist, die von verschiedensten Seiten kommentiert wurde. Unter dem Titel "Demografie und Religion in Österreich, Szenarien 2016 bis 2046" wird in der Studie zuerst der Iststand bei den Glaubenszugehörigkeiten referiert: 2016 seien 64 Prozent der österreichischen Bevölkerung katholisch, 17 Prozent konfessionslos, acht Prozent muslimisch und je fünf Prozent orthodox und evangelisch gewesen.

Seit 16 Jahren nicht statistisch erfasst

Danach werden vier verschiedene Entwicklungsmöglichkeiten skizziert. Je nachdem, wie sich die österreichische Migrationspolitik in den kommenden 30 Jahren gestaltet, werde der Anteil etwa der Katholiken auf bis zu 42 Prozent sinken und jener der Muslime auf bis zu 21 Prozent steigen, prognostiziert das Forscherteam um die Demografin Anne Goujon.

Diese Vorhersagen operieren auf unsicherem Terrain, so wie das meiste Wissen über die Größe von Glaubensgemeinschaften in Österreich. Grund dafür: Die Religionszugehörigkeiten in Österreich werden statistisch seit 16 Jahren nicht mehr erfasst, sondern lediglich geschätzt – ein Vorgehen, das laut Alexander Hanika von Statistik Austria mit "Unwägbarkeiten" einhergeht, "die sich im Laufe der Jahre kumulieren".

Austrittsdaten nicht komplett

In Prognosen fließen zusätzliche Schätzungen sowie Schlussfolgerungen aus anderen Untersuchungen ein. Etwa – so Goujon im STANDARD-Gespräch – Erkenntnisse über die durchschnittliche Kinderzahl von Frauen in den Herkunftsländern von Migranten. Hinzu kommen Austrittsstatistiken von Religionsgemeinschaften, um den Säkularisierungstrend zu erfassen – auch wenn es derlei Daten in Österreich nur bei Katholiken und Protestanten gibt.

Statistisch sei ein solches Vorgehen "akzeptabel – in Ermangelung anderer Grundlagen", sagt Hanika. Zumal man auf besagte Grundlagenerfassung in vollem Wissen über die Folgen verzichtet habe: Zum letzten Mal wurde die Religionsfrage in Österreich 2001 gestellt, im Rahmen einer Volkszählung im klassischen Sinn, mit Fragebögen an jeden Haushalt und eigenen Zählorganen, die an die Türen klopften.

Vor 2001 auch oft ohne Antwort

Das sei "sehr mühsam" und bei den Bürgern zudem höchst unbeliebt gewesen, sagt ein Mitarbeiter des für Religionsangelegenheiten zuständigen Kultusamts im Bundeskanzleramt. Auch habe man schon 2001 oft keine Antworten bekommen. Vielen habe es widerstrebt, diese persönliche Information weiterzugeben. Und die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stelle klar, dass niemand gezwungen werden dürfe, dem Staat sein religiöses Bekenntnis zu nennen.

Registerzählungen ohne Glaubensfrage

Nach 2001 ging man von Volkszählungen ab und schwenkte auf Registerzählungen um, die im Vergleich um neunzig Prozent billiger sind. Die Glaubensbekenntnisse werden dabei nicht erfasst. Für eine Registerzählung werden anderweitige anonymisierte Statistiken und Erhebungen miteinander verknüpft, etwa Standesamts- und Krankenversicherungsdaten. Verwendet werden nur staatliche Quellen. Das stellt die Religionsstatistik vor weitere Probleme, denn Mitgliedererfassungen von Glaubensgemeinschaften können nicht berücksichtigt werden.

Muslime nirgendwo erfasst

Doch diese könnten ohnehin nur partiell Auskunft geben: Abgesehen von den Kirchenbeitrag einhebenden Katholiken und Protestanten gibt es nur bei den Aleviten präzise Daten. Nirgendwo im Ganzen erfasst ist etwa die Zahl der Muslime, die – soweit praktizierend – in Moscheevereinen organisiert sind.

Um die Datenlage zu verbessern, nennt Hanika daher die Möglichkeit einer aktuellen Religionserhebung: "Das Kultusamt könnte sie jederzeit anordnen." Im zuständigen Bundeskanzleramt winkt man ab. Derlei Pläne gebe es nicht, sagt dort eine Sprecherin. (Irene Brickner, 22.8.2017)