Ein Ku-Klux-Klan-Mitglied provoziert bei den Demonstrationen in Charlottesville: Rechtsextremes Gedankengut hat auch in den USA immer wieder seinen Weg in die Institutionen gefunden.

Foto: APA/AFP/ANDREW CABALLERO-REYNOLD

Sind die USA von Nazismus bedroht? Die kurze Antwort darauf lautet nein, und zwar ungeachtet der erschreckenden Ereignisse in Charlottesville im Bundesstaat Virginia vor zwei Wochen.

In Charlottesville, wo sich die von Thomas Jefferson gegründete University of Virginia befindet, versammelten sich Nationalisten, Separatisten, Neonazis, Mitglieder des Ku-Klux-Klans und andere gleichgesinnte Gruppen unter Hakenkreuzfahnen und marschierten in einem Fackelzug im Stile der Nazis. Am Ende des darauffolgenden Tages kam es auch zu gewalttätigen Ausschreitungen. Ein weißer Suprematist tötete dabei eine Person und verletzte 19 weitere.

Die für diese Gewalt in Charlottesville verantwortlichen Gruppen feierten US-Präsident Donald Trumps Wahl im vergangenen November. Und Trump zögerte häufig, sich von ihnen zu distanzieren; als der ehemalige Ku-Klux-Klan-Chef David Duke Trump während des Wahlkampfs öffentlich unterstützte, dauerte es skandalös lange, bis Trump Duke und seine Anhänger zurückwies. Trump hat während des Wahlkampfs auch wiederholt Gewalt angefacht.

Nach den Ereignissen von Charlottesville gab Trump zunächst eine farblose Erklärung ab, wonach der von "vielen Seiten" kommende Hass zu verurteilen sei. Damit stellte er eine moralische Gleichwertigkeit zwischen den Rassisten und denjenigen her, die sich zu den Gegenprotesten versammelten. Zwei Tage später gab Trump unter sich intensivierendem Druck eine eindringlichere Erklärung ab, im Rahmen derer er den Ku-Klux-Klan, die Neonazis und andere Suprematisten explizit verurteilte, nur um anschließend wieder eine Kehrtwende zu vollziehen.

All das ist verabscheuungswürdig. Aber jeder nüchterne Beobachter kann sehen, dass die USA von der albtraumhaften Atmosphäre in Deutschland im Jahr 1933 noch immer weit entfernt sind. Die demokratischen Institutionen Amerikas funktionieren so, wie sie dies auch in den Krisenjahren der 1930er-Jahre getan haben. Oppositionsparteien wurden nicht verboten, und die Gerichte haben ihre Rolle als unabhängige Instanzen nicht verloren.

Überdies ist Trump kein Chef einer Partei mit einem paramilitärischen Arm. Es werden keine Anlagen wie Dachau, Auschwitz oder Treblinka gebaut. Sogar Trumps geplante Grenzmauer zu Mexiko befindet sich noch immer im Planungsstadium, weil die vom Kongress zu genehmigenden finanziellen Mittel fehlen. Und der Kongress wird auch kein Ermächtigungsgesetz verabschieden, das dem Präsidenten diktatorische Befugnisse verleiht, wie dies der Reichstag im März 1933 im Falle Hitlers getan hat. Zu guter Letzt ist die Presse heute hartnäckig und energiegeladen wie schon seit Jahren nicht.

Trumps Wunsch nach autoritärer Herrschaft ist für alle deutlich zu sehen. Aber er wird sie nicht erreichen. In Amerika wird es keine Nazidiktatur geben.

Es ist allerdings nicht die richtige Frage, ob Amerika von einer solchen Diktatur bedroht ist. Die demokratischen Institutionen Amerikas mögen zwar funktionieren, aber die Geschichte lehrt uns, dass sie gegenüber den Umtrieben aufgrund aggressiv rassistischer politischer Programme nicht immun sind. Tatsächlich brachten die USA manche jener Gesetze hervor, die später als Grundlage der Nazibewegung in Deutschland dienten.

Im frühen 20. Jahrhundert war Amerika mit seinen lebendigen demokratischen Institutionen das führende rassistische Rechtssystem der Welt. Ein offenkundiges Beispiel dafür ist der Jim-Crow-Süden, wo weiße Legislativen Gesetze verabschiedeten, die Rassentrennung vorsahen und zahlreiche Fortschritte aus der Zeit nach dem Bürgerkrieg rückgängig machten. Das ist allerdings kaum das einzige Beispiel. Rechtsextreme in Europa bewunderten auch die Einwanderungspolitik in Amerika zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die darauf ausgerichtet war, "unerwünschte" Rassen auszuschließen. In seinem Buch Mein Kampf stellte Hitler Amerika als "den einen Staat" heraus, der sich in Richtung der Schaffung einer gesunden, auf Rasse beruhenden Ordnung bewegte.

Gesetze gegen Mischehen

In dieser Zeit gab es in 30 US-Bundesstaaten tatsächlich Gesetze gegen Mischehen, die die Reinheit der Rassen gewährleisten sollten. Die Institutionen Amerikas setzten derartigen Strategien im frühen 20. Jahrhundert wenig entgegen. Im Gegenteil: Gesetze gegen Mischehen waren das Produkt des US-demokratischen Systems, das dem Rassismus vieler Amerikaner eine laute Stimme verlieh. Und die US-Gerichte folgten diesen rechtlichen Neuerungen, wobei sie flexible Präzedenzfälle des Common Law heranzogen, um zu entscheiden, wer den privilegierten Status eines "Weißen" erhalten soll.

Dem schenkten die Nazis besondere Aufmerksamkeit. Als sie ihre eigenen Rassen-Statuten fabrizierten – die Nürnberger Gesetze des Jahres 1935 -, zogen sie dafür die US-Rassengesetze als Vorbild heran. Anstatt also heute die Frage zu stellen, ob die US-Institutionen die Präsidentschaft Trumps überstehen werden, müssen wir uns fragen, wie diese Institutionen in den Dienst rechtswidriger Ziele gestellt werden können. Denn obwohl es die Rassengesetze des frühen 20. Jahrhunderts nicht mehr gibt, verfügt das Land noch immer über die gleiche überhitzte demokratische Ordnung und die Flexibilität des Common Law. Diese Institutionen bringen vielleicht keine Jim-Crow-Gesetze mehr hervor; aber das US-Strafjustizsystem bleibt etwa weiterhin der Inbegriff des institutionalisierten Rassismus.

Die Amerikaner sollten sich schämen, dass die Institutionen ihres Landes die Grundlage für die Rassengesetze der Nazis schufen. Aber sie sollten sich trotz Trumps deutlicher Ambivalenz bei der Verurteilung weißer Suprematisten keine Sorgen hinsichtlich der Bedrohung eines wiederauflebenden Nazismus machen. Vielmehr sollten sie sich über das Potenzial ihrer Institutionen sorgen, Übel zu ermöglichen, die – so schwer es auch fällt, dies einzuräumen – typisch amerikanisch sind. Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier © Project Syndicate, 2017. (James Q. Whitman, 21.8.2017)