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Regisseur Mahmoud Sabbagh: "Wir wollten den Herausforderungen mit Kunst begegnen, auf subtile, selbstironische Weise."

Foto: Isa Foltin/Getty Images

Wien – Als "erste romantische Komödie aus Saudi-Arabien" reist Mahmoud Sabbaghs Debütfilm Barakah Meets Barakah seit mehr als einem Jahr um die Festivalwelt. Dabei ist die erste nennenswerte Filmsatire aus dem wahhabitisch-muslimischen Königreich durchaus anspruchsvoll, denn die Paarfindung stößt sich darin nonstop an den rigiden gesellschaftlichen Normen des Landes. Barakah (Hisham Fageeh) ist ein Ordnungsbeamter in der Hafenstadt Dschidda. Seiner Aufgabe, das öffentliche Leben zu regulieren, kommt der passionierte Laienschauspieler eher zerstreut und fahrlässig nach. Bei einem illegalen Fotoshooting stößt er auf Bibi (Fatima AlBanawi), die als gesellschaftskritisches It-Girl aus der Oberschicht eine neue Generation vertritt. Wie die rebellische "Modetussi" und der verkorkste Hipster aus der traditionelleren Medina unter erschwerten Bedingungen zusammenfinden, öffnet auch den Blick für die Widersprüche eines weitgehend unbekannten Landes.

Dass es an der Zeit ist, auf gewisse Dinge einen neuen Blick zu werfen, lernt auch Ordnungsbeamter Barakah (Hisham Fageeh).
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STANDARD: "Fragen Sie nach Vergebung, nicht nach Erlaubnis" – man hört, Sie haben dieses Zitat von Werner Herzog beim Dreh beherzigt. Gibt es in Saudi-Arabien denn Strukturen, auf die Sie zugreifen konnten?

Sabbagh: Herzogs Rat war teuer, denn wir haben den Film wirklich im Guerillastil umgesetzt. Saudi-Arabien ist ein vorindustrielles Land, was Film betrifft. Daraus resultieren eine ganze Reihe von Ängsten. Es gibt keine Filmschulen, keine Filmförderungen und keine rechtliche Infrastruktur. Es gibt keinen Plan, um sicher sagen zu können, was man tun und was man nicht tun darf. Wir haben nur die Erlaubnis bekommen, eine TV-Serie zu drehen.

STANDARD: Das heißt, Sie haben vorgegeben, etwas anderes zu produzieren?

Sabbagh: Wir mussten sehr vorsichtig vorgehen, vor allem, wenn wir auf Straßen drehten und dabei die Hauptdarstellerin zum Einsatz kam. Das haben wir meist in der Früh an Wochenenden gemacht, wenn noch wenig los war. Ich bin selbst aus diesem Land, somit Teil eines nationalen Dialogs darüber, was richtig und was nicht richtig ist. Ich wollte keinen Film machen, der mein Land in ein schiefes Licht rückt. Darin liegt kein Ruhm. Wir wollten den Herausforderungen mit Kunst begegnen, auf subtile, selbstironische Weise. Die Psyche meines Landes muss sich entwickeln, die Menschen müssen sich ihrer eigenen Begrenztheiten gewahr werden. Ich wollte mit diesem Film keine westlichen Werte promoten, auch wenn ich selbst eher postnational eingestellt bin.

STANDARD: Anders als in Iran gibt es somit keine staatliche Kommission, bei der man Drehbücher einreichen muss?

Sabbagh: Nein, in Iran gibt es ja eine lange Geschichte des Kinos, die schon vor der Revolution begonnen hat. In Saudi-Arabien haben wir es mit einer vorindustriellen Struktur zu tun, allerdings gibt es eine kleine TV-Industrie, wo auch Arbeiten gemacht werden, in denen Frauen unverschleiert gezeigt werden. Umgekehrt hat der Iran die bessere Kunst, und das iranische Kino hat wiederum vom ägyptischen Kino gelernt.

STANDARD: Ein Zyklus.

Sabbagh: Genau, und deshalb sollte man darüber auch nicht chauvinistisch denken. Saudi-Arabien hat in der Vergangenheit auch liberalere Zeiten erlebt. Wir haben, historisch betrachtet, eine orale Kultur, die aus einer nomadischen Gesellschaft hervorgegangen ist. Als Kultur haben wir uns immer gegen niedergeschriebene Gesetze verwehrt.

STANDARD: Betrachten Sie die Komödie als politische Form?

Sabbagh: Die Komödie ist eine Taktik, die selten scheitert. Sie ist eine Soft Power, die das Herz der Menschen erreicht. Ich mache mich über meine Gesellschaft, die Mittelklasse, über meinen Akzent lustig. Im besten Fall befördert ein Perspektivenwechsel Demut. Hätte ich ein ernstes Drama gedreht, wäre die Reaktion ungleich abstoßender ausgefallen.

STANDARD: Klassengegensätze spielen im Film eine große Rolle, Sie karikieren aber auch die harsche Geschlechtertrennung in Ihrem Land.

Sabbagh: Ich zeige einerseits, wie man erst durch Klassenzugehörigkeit Zutritt erhält: zu besserer Erziehung, besserer Kunst, besserem Essen – oder zu Alkohol, was in Saudi-Arabien vor allem auf Reiche zutrifft. Bei den Geschlechterrollen habe ich mit Crossdressing das Männlichkeitskonzept aufs Korn genommen. Auch Barakah, der Name, ist unisex. Crossdressing wird gesellschaftlich toleriert, wenn es sich um ein Shakespeare-Stück handelt, bei dem ein Mann die weibliche Rolle spielt, weil Frauen auf der Bühne nicht akzeptiert werden. Wenn man es außerhalb dieses Kontexts macht, ist es ein reiner Akt des Crossdressings – und gar nicht akzeptabel!

STANDARD: Sie haben die Hauptrolle mit Hisham Fageeh, einem Stand-up-Comedian, besetzt. Ist die Figur an seiner Persona orientiert?

Sabbagh: Ein wenig, aber ich habe auch viel verändert. Für mich ist es ein Film über einen Antihelden.

STANDARD: Es gibt Fotomontagen im Film, welche die Veränderung der traditionellen Milieus beschreiben. Es wirkt fast ein wenig nostalgisch, wie Sie damit die Erinnerung an eine offenere Kultur wecken.

Sabbagh: Ich bin besessen von der Erinnerung der Stadt. Ich habe viel Zeit damit verbracht, Archivmaterial zu sammeln, weil ich der Geschichte einen Kontext geben wollte. Die Idee, dass wir einmal eine offenere Gesellschaft waren und dann gestolpert sind, fasziniert mich. Vielleicht wirkt es nostalgisch, ich will das gar nicht verneinen, aber mein eigentliches Ziel war es zu zeigen, wie eine Gesellschaft von innen wachsen kann. Natürlich geht das auch umgekehrt; seit 1979 wurde die saudische Gesellschaft nur in einer Farbe entworfen, alles wurde monochrom. Dafür zahlen wir heute einen großen Preis. Die kulturellen Institutionen promoten den Jihad und die Intoleranz. Ich denke, es genügt. Wir müssen etwas Neues probieren.

STANDARD: Sie zeigen auf komische Weise, wie der öffentliche Raum reguliert wird, und damit auch die Weise, wie man Frauen begegnet.

Sabbagh: Natürlich ist es so, dass die Fantasie in dem Moment wächst, wo man etwas verbietet. Wenn man eine Frau verhüllt, schafft man zugleich ein sexualisiertes Produkt, und das ist auf keinen Fall gesund. Wenn dir deine Religion sagt, dass du einen Hijab tragen sollst, darf man das nicht der Gesellschaft aufzwingen. Ich bin pro Choice, pro Selbstpräferenz. Ich war immer davon überzeugt, dass die Agonie unserer Gesellschaft daher rührt, dass wir auf Pluralität vergessen haben. Es ist wider die menschliche Natur. (Dominik Kamalzadeh, 23.8.2017)