Bild nicht mehr verfügbar.

Magier zaubern mit einer Handbewegung Kaninchen aus dem Hut, populistische Politiker tun das Gleiche mit plausibel klingenden Lösungen.

Foto: Getty Images/Justin Horrocks

In Vorwahlzeiten hat es wieder Konjunktur: das populistische Argument. Es ist einfach, klar – und falsch. Falsch aber ist es nicht schon deswegen, weil es von sich aus irrational oder logisch inkonsistent wäre. Um sich Derartiges leisten zu können, müsste man wohl über die Macht eines amerikanischen Präsidenten verfügen. Vielmehr besticht das populistische Argument durch seine zur Eindeutigkeit zugespitzte, logische Stringenz in einem ebenso geschlossenen wie beschränkten Möglichkeitsraum. Und gemeinhin befindet es sich dabei auf der Höhe seiner kalkulatorischen Möglichkeiten und fasziniert durch Plausibilität.

Falsch und unzureichend ist diese Argumentation vielmehr aufgrund ihrer den Problemen unangemessenen Reduktion von Komplexität. Damit können die maßgeblichen Kontexte der jeweiligen Problemlage nicht hinreichend abgebildet und analysiert werden. Um sich den Kontexten zu nähern, ist es vielmehr nötig mitzuerfassen, von wo aus, von welcher Position aus gedacht und argumentiert wird. So etwas könnte ein reflektierendes Denken – im Gegensatz zur bloßen Kalkulation – ermöglichen. Gerade eine die verschiedenen Standpunkte erprobende Reflexion erlaubt es, auf Ebene der an sich offenen Kontexte das Bewusstsein zu erweitern und umfassendere Perspektiven zu entwickeln. Erst diese, der Lebenswelt gegenüber aufgeschlossene und deren konkreten Verhältnissen Rechnung tragende denkerische Haltung könnte helfen, die jeweilige Problemlage in einer differenzierten Weise zu erörtern.

Solch ein Denken kann aber auch nicht einfach die Sphäre des Problematischen aus der Welt schaffen, es kann – gerade im ohnehin nicht abschließbaren demokratischen Diskurs – nicht aufhören zu reflektieren. Mit anderen Worten: Nach der gefundenen Lösung ist vor dem neuen (oder bloß erneuten) Problem. Damit sind auch die jeweiligen Problemlösungen immer nur im Rahmen ihrer historischen Begrenzung, wie sie der jeweilige gesellschaftliche Erfahrungshorizont zum Ausdruck bringt, möglich. Hingegen ist die Illusion einer überzeitlichen Lösung so nicht zu bedienen.

Ende der Debatte?

Jener diskursiven Dynamik, wie sie Jürgen Habermas in seiner Vorstellung vom "zwanglosen Zwang des besseren Arguments" zum Ausdruck gebracht hat, ist die populistische Argumentation kaum zugänglich. Dieser geht es vielmehr um eine, die Problemlage in ihrer Komplexität verleugnende, Problemauflösung. Sie möchte ein Ende der Debatte, und sollte es auch das Ende von Demokratie bedeuten. Trotzdem, oder vermutlich gerade deshalb ist die populistische Argumentation heute erfolgreich: Schließlich handelt es sich dabei um etwas dem Habermas'schen Diskurs zwar Ähnliches, seiner Intention nach aber grundsätzlich anderes: Es geht um den ebenfalls zwanglos erlebten Zwang des plausibleren (und erst dadurch als besser empfundenen) Arguments.

Plausibilität ist aber kein genuin logisches, sondern ein über die Akzeptanz der Bevölkerung definiertes Kriterium für Vernunft – man denke nur an die gleiche sprachliche Wurzel der Begriffe Plausibilität und Applaus. Und Niklas Luhmann bezeichnete sogar das (dem Publikum) unmittelbar Einleuchtende, die Evidenz, als eine verstärkte Plausibilität: "Sie ist gegeben, wenn auch der Ausschluss von Alternativen mit einleuchtet." Dementsprechend ist gerade der Populismus bemüht, die Plausibilität seiner Weltsicht bis zur Evidenz zu steigern und die eigene Argumentation als die einzig sinnvolle zur Wirkung zu bringen. Die zirkuläre Begründung von Plausibilität und Popularität – beides fußt auf der Akzeptanz der Bevölkerung – kommt dabei gerade recht ... Der zwingende Charakter populistischer Argumente liegt also nicht einfach in seiner logischen Eindeutigkeit, wie dies gemeinhin dargestellt wird. Er liegt vielmehr in dem Evidenzempfinden, den diese Argumente im Wege ihrer kontextuell eingeschränkten Sichtweise hervorzurufen vermögen und die damit die intellektuellen Auseinandersetzungen auf eine emotionale Ebene verlagern.

Gesunder Menschenverstand?

So gesehen wird es dem von Habermas beschworenen "besseren Argument" (und dessen rational gestützten zwanglosen Zwang) kaum gelingen, sich gegen das plausiblere Argument (und dessen emotional gestützten zwanglosen Zwang) durchzusetzen. Auch sind die von verschiedenen Seiten unternommenen Versuche, das bessere Argument nach der Methode des Populismus selbst als plausibel darzustellen, von inhaltlichen Paradoxien behaftet. Man denke nur an das Paradox eines linken Populismus, welcher fortschrittliche Gedanken über die allgemeine Gefühlslage des "gesunden Menschenverstandes" populär machen möchte. Das aber kann so einfach nicht funktionieren: Ohne eine untergründige Übereinstimmung mit den vorherrschenden, den hegemonialen, politischen Vorstellungen können alternative Konzepte nicht schon von sich aus plausibel erscheinen ...

Die wohl einzige Chance, dem zwanglosen Zwang von Plausibilität erfolgreich entgegenzutreten, besteht vermutlich darin, eine andere Form der politischen Bildung ins Leben zu rufen, welche der Entwicklung des Reflexionsvermögens der Einzelnen gewidmet ist. Eine Bildung also, die es ermöglicht, Plausibles zu hinterfragen und Kontraintuitives zu ertragen. Das wird zwar die Macht der Plausibilität nicht aus der Welt schaffen, kann aber die in der Plausibilität zum Ausdruck kommende politische Spontaneität auf eine differenziertere Grundlage stellen. – Die bisher politisch dominierenden kalkulatorischen Spiele des "Wer gegen Wen" sind demgegenüber gewiss nicht in der Lage, die gesellschaftlichen Widersprüche in ihrem kontextuellen Zusammenhang adäquat zu erfassen. Schließlich ist – so Oskar Negt – die Demokratie die einzige Staatsform, die man lernen muss. Und daran wird wohl auch in Zukunft kein Weg vorbeiführen. (Peter Moeschl, 22.8.2017)