Wien – So kuschelig, wie Erika M. Anderson ihr neues Album beginnt, bleibt es nicht lange. 7 Years ist ein netter Folksong, etwas verwischt und verfremdet von analogen Synthesizern, die hinter der Akustikgitarre immer wieder dröhnen und zärtlich beben. 7 Years – mit dem Titel deutet Anderson eine Zäsur an, stellt einen Wandel in Aussicht; das verflixte siebte Jahr taucht nicht nur in Partnerschaften auf. Im Falle der als EMA veröffentlichenden US-Musikerin meint das vor allem örtliche Veränderungen.

Die US-Musikerin EMA meditiert auf ihrem am Freitag erscheinenden Album "Exile in the Outer Ring" über Gentrifizierung und die Mentalität des amerikanischen Hinterlands.

Einige Songs ihres am kommenden Freitag erscheinenden Albums Exile in the Outer Ring behandeln das Thema Gentrifizierung. Die demoskopische Neugestaltung von Städten ging zuerst auf Kosten der alteingesessenen Nachbarschaften, mittlerweile ist das Leben in gentrifizierten Bezirken großer Städte aber nicht einmal mehr für die erste Generation dieser Invasoren leistbar. Das resultiert im Falle von EMA in selbstdiagnostizierende Songs wie 33 Nihilistic and Female.

Zum Preisanstieg verändert das Alter den Lebensentwurf. Irgendwann steht der hipste Hipster vor der Wahl, entweder im Hamsterrad zu strampeln oder doch dorthin zu ziehen, wo es billiger gegeben wird. Immer öfter bedeutet das den Gang ins Hinterland.

Das ist das zweite große Thema auf Exile in the Outer Ring. Das US-Hinterland und seine Mikrokulturen sind für die Popkultur seit jeher ein dankbares Nährgebiet. Seit Donald Trump von den Menschen aus dieser Geografie zum Präsidenten der USA gemacht wurde, genießt es erhöhte Aufmerksamkeit. Schließlich wird nun überall ausgebadet, was die Hillbillies aus dem Rust Belt dem Land (und der ganzen Welt) damit eingebrockt haben.

EMA BAND

Schleichend angekündigt hat sich ein erstarktes Interesse an dieser oft mit Verachtung beäugten Hinterweltlerei in den letzten Jahren über TV-Serien wie Justified oder Filme wie Out of the Furnace, die eine archetypische Gesellschaft auf Kollisionskurs mit der Gegenwart abbildeten. Enklaven, in denen ein überkommener Stolz, ökonomische Desaster, epidemische Medikamentensucht und Sündenbockmentalität herrschen. Ihnen hat Trump eine bessere Zukunft versprochen, sie haben ihn dafür ins Weiße Haus gewählt.

Nichts erhellt dieses Phänomen besser als J. D. Vance' Autobiografie Hillbilly Elegy – A Memoir of a Family and Culture in Crisis. Vance, aufgewachsen in Kentucky und Ohio, beschreibt dieses Soziotop, und wie sehr sich in ihm der amerikanische Traum für viele als Rohrkrepierer und Systemversagen erweist. Dem moderaten Republikaner gelang damit ein Weltbestseller.

EMA hat selbst Erfahrungen mit dem Hinterland, sie stammt aus South Dakota. Sie kennt das Minderwertigkeitsgefühl, das die Überheblichkeit der Küstenmetropolen verursacht. Sie weiß um die Enge der Weiten im Kernland, und warum sie davor flüchtete. Dennoch hat sie Verständnis für den gekränkten Stolz der dort Verbliebenen. Das gebiert eine Mischung aus Abscheu und Mitgefühl, aus deren Zerrissenheit einige der besten Songs entstanden sind, die EMA bisher geschrieben hat. Der Bogen reicht von gefühlsintensiven Momentaufnahmen wie I Wanna Destroy bis zu zornig anklagenden Songs wie Aryan Nation. Wobei sie selbst da verhalten optimistisch bleibt und in den Anhängern dieser religiös verblendeten Rassistenvereinigung irregeleitete Menschen und nicht nur Bestien erkennt.

Leere Fabrikshallen

EMA übersetzt diese Themen in lärmende Tracks, die die Kälte aufgelassener Fabrikshallen verströmen. Dazwischen tröpfeln Pianomelodien und verbreiten zurückhaltend Hoffnung. Nicht selten bedient sie sich des steifen Gestus einer Nico (The Velvet Underground), doch ihr Gesang ist ungleich empathischer. Wenn EMA Nihilismus strapaziert, ist das kokett, zu deutlich durchwirkt eine sanfte Schönheit ihre Musik.

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Down and Out, eines der neuen Lieder, verspricht zwar vollkommene Verlorenheit, erweist sich dann aber als hübsches Kleinod, das glatt als Pop durchgeht. Doch das bleibt die Ausnahme. Meist erzeugt sie mit ihren im Wohnzimmerstudio angesteckten Synthesizern Lärmgebilde, die ihre Songs umrahmen. Hammer und Amboss geben einen Rhythmus vor, der im Rust Belt verstanden wird. Ob sie damit in Kentucky im Radio gespielt wird, bleibt fraglich.

Zurzeit ist sie jedenfalls auf Tour, am 12. Oktober gastiert sie in der Wiener Arena. (Karl Fluch, 24.8.2017)