Zwischen experimenteller Elektronik und Performance angesiedelt, beeindruckt die chinesische Künstlerin Pan Daijing mit ihrem Album "Lack".

Foto: Ralf Marsault

Wien – Kunst ist unter anderem auch dazu da, dass der Mensch nicht an der Realität zugrundegeht. Ebenso ist es allerdings notwendig, dass sie dafür immer wieder an Orte der Finsternis geht, um dort nach eventuell verborgenen Lichtquellen zu suchen. Der Weg zum Licht am Ende des Tunnels mag kein leichter sein. Und ob man es erreicht, bleibt sowieso dahingestellt.

In Zeiten der kurzen Aufmerksamkeitsspanne, der andauernden Berieselung und Sedierung mit beiläufigen und schnell vergessenen Inhalten, einer auf eilige Laufkundschaft bauenden Konsumkultur, ist Kunst als Reflexionsraum für eigene Standorterkundungen oder Erfahrungen bezüglich eines Hörens nach innen aber notwendig wie eh und je. Wir alle scheitern. Es geht aber darum, besser zu scheitern.

Vincent Glandier

Die junge chinesische Elektronikkünstlerin Pan Daijing kam über Schanghai und San Francisco nach Berlin. Ihre im Rahmen freier Improvisationen entstandenen Soundperformances verdichtet sie nun auf Lack zu einer ebenso sperrigen wie bei geneigter Betrachtung intensiven Klangoper. Nach einigen knapper (und ruhiger) gehaltenen Arbeiten wie der 2015 auf Noisekölln Tapes veröffentlichten Kassette Sex & Disease oder der dieses Frühjahr erschienenen EP A Satin Sight, die beim in Dubai beheimateten Label Bedouin erschienen ist, befindet sie sich mit ihrer Kunst nun in bester Gesellschaft, auf dem von ihrer Wahlheimat Berlin aus vom Griechen Bill Kouligas betriebenen Label Pan als eine der weltweit ersten Adressen für musikalische Freigeister.

Zwischen experimentellem Techno, Ambient, House, Anklängen an die gute alte elektroakustische Musik und Musique Concrète, harschem Noise oder auf Laptops verübtem Free Jazz ist hier inklusive exzellenter und von der Norm abweichender Coverkunst vieles möglich, was im Gegensatz zur Kunst der in der Hochkultur beheimateten Vorbilder sehr wohl auch in Popbereiche verweist. Labelkollegen Pan Daijings wie Helm, Yves Tumor, Rashad Becker, Lee Gamble oder Hecker gehen ähnlich radikale Wege, oft an den Grenzen musikalischer Belastbarkeit. Diese Menschen haben keine Lieder.

Pan Daijing selbst ist eine Frau, die sich, der aktuellen elektronischen Kunst angemessen, pflichtschuldig mit queeren Inhalten ebenso beschäftigt wie mit praktiziertem Yoga zu oft brutaler Noisemusik. Die wird etwa von Vorbildern wie den japanischen Extremisten Merzbow oder KK Null seit Jahrzehnten praktiziert.

Noise wird von Pan Daijing sehr wohl auch als vordergründig unangenehme Erfahrung gedeutet. Es ist eine dunkle Kunst, die den Hörer erst einmal in ein schwarzes Loch zieht. Tief dort unten tun sich schließlich im besten Fall weite musikalische Räume auf, in denen unerwartet das Licht angeht und man sich selbst erkennt. Ich ist auf jeden Fall ein anderer.

Vincent Glandier

Konkret wird etwa der von Arthur Rimbaud beeinflusste, bedrückende Todestechnotrack A Season In Hell, enthalten auf A Satin Sight, in die freieren Formen von Lack übergeleitet. Bevor am Ende nach dem versöhnlichen, mit Arabesken verzierten Dröhnen des siebenminütigen Lucid Morto dem Hörer eine Chance zum erleichterten Durchatmen gewährt wird, hört man in Phenomenon an Dario-Argento-Soundtracks erinnernden Operngesang – zu Klängen, die in den Innereien eines Klaviers erzeugt werden.

Stöhnen und Lungenrasseln

Practice Of Hygiene ist ein Hörspiel, das uns die Frage stellt: "Why do I have to suffer?" Daraufhin improvisiert Pan Daijing über einem wuchtig gesetzten Pianoakkord ein Stöhnen inklusive Lungenrasseln, bei dem man sich nie sicher sein kann, ob nun gerade die Todesfee Diamanda Galas mit Exorzismen wie ihrem alten Klassiker Unclean einreitet, oder ob hier jemand Geräusche macht, die durch Träume sexuellen Inhalts verursacht werden. In denen spielt der Besuch einer strengen Kammer eine Rolle. Harter Stoff. Keine Lieder. (Christian Schachinger, 23.8.2017)