Michael J. Benton vor der Rekonstruktion eines Stegosaurus-Skeletts. Der britische Paläontologe beschäftigt sich mit den großen Katastrophen der Erdgeschichte.

Foto: Benjamin Sames

Wien – Im Lauf der Erdgeschichte ließen immer wieder große Aussterbewellen den Planeten nahezu leblos zurück. Michael J. Benton, Paläontologe an der University of Bristol, erforscht unter anderem, wie sich Organismen und Ökosysteme nach solchen globalen Katastrophen wieder erholten. Am Mittwoch hielt er im Rahmen der zehnten Internationalen Geowissenschaftlichen Fachtagung zur Kreidezeit an der Universität Wien einen Vortrag.

STANDARD: Das bisher größte Massenaussterben hat sich vor etwa 252 Millionen Jahren an der Perm-Trias-Grenze ereignet. Was wissen wir heute über die Faktoren, die dazu geführt haben?

Benton: Die heute weithin akzeptierte Sicht betrachtet massive vulkanische Eruptionen in Sibirien als Ursache. Die Folgen dieses gigantischen Vulkanismus waren zunächst Erderwärmung und saurer Regen durch die enorme Freisetzung von Kohlenstoffdioxid, Schwefeldioxid und anderen Gasen. Berechnungen zeigen, dass das in geologischen Maßstäben sehr rapide passiert sein könnte: innerhalb von Jahren. An Land starben schnell viele Lebewesen aus, allen voran Pflanzen. Für etwa zehn Millionen Jahre existierten keine Wälder mehr. Das sorgte für eine massive Destabilisierung, Unmengen von Sedimenten wurden in die Meere gespült.

STANDARD: Was passierte in den Ozeanen?

Benton: Die steigenden Wassertemperaturen waren für viele Spezies an der Oberfläche tödlich. Der Anstieg dürfte zehn bis 15 Grad Celsius betragen haben. Die Erwärmung veränderte aber vor allem die Wasserzirkulation: Der Kreislauf, der kaltes Wasser aus der Tiefe zur Oberfläche fördert, wo es mit Sauerstoff angereichert wird, ehe es wieder absinkt, kam zum Erliegen. Nachweise dafür sind überall zu finden.

STANDARD: Nur ein Zehntel aller Arten überlebte die Katastrophe. Wie ging es nach diesem extremen Verlust an Biodiversität weiter?

Benton: Wir wissen heute, dass diese Katastrophe aus mehreren Teilen bestand, es kam im Verlauf von etwa fünf Millionen Jahren zu mehreren globalen Temperaturanstiegen. Demnach erholten sich auch die überlebenden Arten in Phasen. Bis die Ökosysteme wieder vollständig und stabil waren, dauerte es sechs bis sieben Millionen Jahre. Nach dem Massenaussterben am Ende der Kreide vor 66 Millionen Jahre ging es schneller, das war ein Asteroideneinschlag. Auch da gab es vulkanische Eruptionen, aber das ist relativ schnell wieder abgeklungen. Diese Entwicklungen zu erforschen erscheint mir sehr wichtig: Erderwärmung infolge steigender Freisetzung von CO2 und Methan klingt heute ja recht vertraut.

STANDARD: Was können wir aus vergangenen Ereignissen über den Klimawandel unserer Zeit lernen?

Benton: Um mögliche Entwicklungen der Zukunft prognostizieren zu können, sind Modelle früherer Massenaussterben sehr wertvoll. Die Qualität der Daten hat sich in den vergangenen Jahren enorm verbessert. Wir sehen, dass sich das Klima in der Erdgeschichte immer wieder stark verändert hat. Wenn das schrittweise vor sich geht, kann sich das Leben vielleicht daran anpassen. Betrachtet man die Geschwindigkeit, mit der der Klimawandel heute voranschreitet, sieht das aber eher nach einem rapiden Massenaussterbeereignis aus als nach einer graduellen Veränderung.

STANDARD: Erleben wir also gerade ein neues Massenaussterben?

Benton: Sieht man sich heutige Aussterberaten an, dann ja: Es ist dokumentiert, dass etwa ein bis zwei Vogelarten jährlich verschwinden. Es gibt vielleicht 10.000 Vogelarten, hochgerechnet auf tausend Jahre ist der Verlust definitiv im Ausmaß eines großen Aussterbeereignisses. Ein Gegenargument ist, dass wir die Risiken noch nicht genau kennen: Viele Spezies, die verschwinden, sind besonders verletzlich: kleine Populationen, endemische Arten.

STANDARD: Kann man also einschätzen, welche Spezies einem solchen Ereignis eher zum Opfer fallen als andere?

Benton: Wenn man sich die fossile Datenlage der Massenaussterben ansieht, wirkt es recht zufällig, welche Arten ausstarben und welche nicht. Wir wissen natürlich aus der Biologie, dass etwa größere Tiere einem höheren Risiko ausgesetzt sind, auszusterben – sie benötigen größere Lebensräume und haben häufig eine niedrigere Reproduktionsrate. Vergleichen Sie nur Elefanten mit Kaninchen. Man sollte auch meinen, spezialisierte Ernährung spielt eine Rolle. Aber es gibt bisher keine fossilen Belege für diese Annahmen. Das einzige Gefährdungskriterium, dass sich halbwegs verlässlich nachweisen lässt, ist die geografische Verbreitung: Endemische Arten sind gefährdeter als weit verbreitete.

STANDARD: Vor 66 Millionen Jahren war es ein Asteroid, der das Leben auf der Erde dezimierte und die Dinosaurier auslöschte. Kürzlich berichteten Forscher, dass der Himmel in der Folge 18 Monate lang verdunkelt war. Wie würde es heute nach einem solchen Impakt weitergehen?

Benton: Viele Arten würden in 18 Monaten verschwinden. Das fehlende Licht brächte die Fotosynthese zum Erliegen, gleichzeitig käme es zu einer enormen Abkühlung. Interessant ist an dem Ereignis am Ende der Kreidezeit aber auch, wie viele Spezies es überlebten: etwa die Hälfte. Ein solcher Verlust ist für Ökosystem weitaus weniger dramatisch als das Aussterben an der Perm-Trias-Grenze, das nur zehn Prozent überlebten. (David Rennert, 23.8.2017)